Die Glas- und Fassadenbranche in München

Im März trifft sich die Glas- und Fassadenbranche inzwischen traditionell zu zwei Vortragstagen im Audimax der Hochschule München (HM). Das Programm lockte mit Berichten aus der Forschung und Referaten über spektakulären Fassadenbau.


Den Auftakt des zweitägigen Programms, das der Verein der Freunde des Stahlbaus an der HM zusammenstellt, übernahm dieses Jahr Dipl.-Ing. Anke Zillmann vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt). Ihr Referat beleuchtete die Konsequenzen des EuGH Urteils vom 16. Oktober 2014 und brachte die Zuhörer auf den aktuellen Stand der Umgestaltung des bauaufsichtlichen Systems in Deutschland.

Einige Änderungen wurden im Zuge dieses EuGH Urteils bereits wirksam: Beispielsweise werden für Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung keine abZs mehr erteilt, die Produktleistungen beinhalten. Auch Ü-Zeichen werden nicht mehr deklariert. Gültige abZs können weiterhin als freiwillige technische Nachweise genutzt werden.

In Konsequenz werden für harmonisierte Produkte nach der BauPVO seit dem 16.10.2016 kein Ü-Zeichen mehr sowie keine nationalen Verwendbarkeits- oder Übereinstimmungsnachweise verlangt.

Die überarbeitete Musterbauordnung (MBO) wurde im Mai vergangenen Jahres notifiziert und wird nun schrittweise von den Bundesländern umgesetzt. Verzögerung verursacht die Notifizierung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB). Solange diese nicht vorliegt, gilt laut Zillmann folgende Übergangslösung: Damit keine Regelungslücken entstehen, bleiben die Bauregellisten – auch B Teil 1 – und die Liste der Technischen Baubestimmungen solange in Kraft, bis die MVV TB in den Ländern in Bezug genommen werden kann.

Als erstes Bundesland hat Sachsen-Anhalt Mitte Oktober 2016 die novellierte Musterbauordnung umgesetzt und wird die MVV TB, sobald diese vorliegt, als Landesvorschrift bekannt machen.

Länder, in denen noch keine neue Landesbauordnung vorliegt, werden, sobald die MVV TB vorliegt, folgendermaßen vorgehen:

  • Die Kapitel A und B der MVV TB als Liste der Technischen Baubestimmungen einführen.
  • Das Kapitel C ersetzt die Bauregelliste A.
  • Das Kapitel D der MVV TB ersetzt die Liste C.

Die Bauregelliste B Teil 2 ist im Kapitel B 3 der MVV TB enthalten und die Bauregelliste B Teil 1 wird dann nicht mehr existieren.

Die Crux bei harmonisierten Produkten

Im Ergebnis sind künftig CE-gekennzeichnete Bauprodukte nicht in allen Einbausituationen einsetzbar, weil diese nach harmonisierten europäischen Normen (hEN) in Deutschland nicht alle Anforderungen an ein sicheres Bauwerk erfüllen. Das Schutzziel der Bauwerkssicherheit ist weiterhin in der nationalen Verantwortung der EU-Mitgliedstaat und wird ebenfalls über Produkteigenschaften bestimmt. Waren diese Eigenschaften bei CE-gekennzeichneten Produkten für die Bauwerkssicherheit nicht ausreichend, konnte der Mitgliedstaat bislang nachregeln. Das ist mit dem EuGH Urteil nicht mehr möglich.

Zusätzliche Produkteigenschaften, die über das hinausgehen, was die harmonisierte europäische Norm (hEN) fordert, können freiwillig mit noch gültigen abZs oder Europäischen Technischen Bewertungen (ETA) nachgewiesen werden. „Möglicherweise werden sich auch andere freiwillige Nachweise etablieren, sofern diese von der Bauaufsicht und den Verwendern von Bauprodukten akzeptiert werden“, meinte Zillmann.

Planer und Verarbeiter in der Verantwortung

Die Entscheidung darüber, ob die Eigenschaften eines CE-gekennzeichneten Produktes auch den Anforderungen der Bauwerkssicherheit entsprechen, müssen künftig Planer und Verarbeiter entscheiden. Zillmann stellte fest: „Auf die Planer und Anwender kommen bedauerlicherweise erhebliche zusätzliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu, die weit über das hinausgehen, was bisher üblich war.“

Ein sogenannte Lückenliste könnte für bestimmte hENs eine Übersicht der Produktleistungen enthalten, die nicht auf der Grundlage der hENs erklärt werden können, aber für die nationalen Bauwerksanforderungen wichtig sind. „Mit Blick auf diese Liste wäre für die Verarbeiter sofort klar, für welche Produktleistungen eine ETA oder ein freiwilliger Nachweis infrage kommt“, berichtete Zillmann und fügte hinzu: „Ob diese Liste zusammengestellt wird und wie sie bekannt gemacht werden soll, wird noch innerhalb der Bauaufsicht diskutiert.“

Was kommt auf den Glasbau zu?

Der Glasbau ist derzeit von lückenhaften hENs betroffen. „Europäische Technische Bewertungen (ETA) können eine Lösung für Produkteigenschaften sein, die nicht über hEN erfasst sind“, sagte Zillmann. Sie bezog sich auf VSG mit Ansatz des Schubverbundes der Zwischenschicht und Bauprodukte, die von der hEN abweichen. Langfristig könnte es eine Lösung sein, die hEN gemäß den Anforderungen an die Bauwerkssicherheit in Deutschland zu überarbeiten und auch mittels DIN 18008 Produktanforderungen in Bauwerksanforderungen zu überführen.

Nachweise, die den Zusammenbau von Bauprodukten zu Bauwerken, die Bemessung oder den Einbau betreffen, sollen weiterhin durch das DIBt erteilt werden können. Diese werden künftig allgemeine beziehungsweise vorhabenbezogene Bauartengenehmigung heißen.

Fassaden mit großformatigen Scheiben

Dipl.-Ing. (FH) Josef J. Ludwig vom Büro P4E – passion for engineering in Landsberg am Lech berichtete über den Trend zu größeren Glasbauteilen. „Bauteile in den Größen 3,2 x 16–18 Meter sind keine Seltenheit mehr.“ Anhand dreier Beispiele stellte er die Grenzen des Möglichen vor: Eine Überkopfverglasung mit Glasscheiben einer Größe von 2,6 x 8 Metern, ein Glasboden von 4,5 Metern Stützweite und Glasschwertfassadensysteme von 3,15 x 16 Metern. Den Einsatz großer Glasscheiben beim Projekt Apple Campus im kalifornischen Cupertino stellte Dipl.-Ing. Franz Heger von Gartner vor. Apple errichtet dort ein ringförmiges Gebäude mit einem äußeren Umfang von 1,5 Kilometer und einem inneren Umfang von 1,2 Kilometer. 354 Meter beträgt der Durchmesser des Innenhofs. Der Ring misst über eine Höhe von 23 Metern eine Breite von 55 Meter. Auf den vier Stockwerken hat Gartner 320 Glaselemente montiert. Die meisten sind 14 Meter lang und drei bis vier Meter breit.

Eine natürliche Belüftung des Gebäudes gelang mit dem Luftzustrom durch Klappen an den Canopys (Tragstruktur), der Lüftungsquerschnitt ist mittels Lamellen verschließbar. Die Abluft wurde über Luftkanäle in der Mitte des Gebäudes in Lichthöfen und durch Clerestorys geregelt.

Die Verarbeitung solcher überdimensional großer Scheiben wirft Fragen auf, welche Maschinen für die Fertigung und auf der Baustelle eingesetzt werden können. Für den Einbau der Glaselemente auf die Canopy-Tragstruktur wurde eigens eine 14 Meter lange und 2,5 Meter breite Sauganlage entwickelt.

Für die Montage der Elemente auf der Baustelle hat Gartner acht sogenannte Manipulatoren gebaut, die eine Höhe von 25 Metern haben, ein zulässiges Gesamtgewicht von 50 Tonnen und ein maximales Hubgewicht von 16 Tonnen. Die Geräte mussten mit einer Toleranz von ± 2 mm die Scheiben in die Fassaden einpassen. Die Monteure wurden auf einem separaten Übungsbereich in der Bedienung der Manipulatoren trainiert. Ohne diese speziellen Transportgeräte hätte die Montage mit Hochkränen das drei- bis vierfache an Zeit gekostet. Den Kostenaufwand für den Bau eines Manipulators bezifferte Heger mit 700.000 Euro. „Die Sonderanfertigung der Transportgeräte hat sich gerechnet“, hob er hervor und fügte hinzu, „abgesehen davon wären wir technisch ohne Manipulatoren gar nicht in der Lage gewesen, die Scheiben einzubauen.“ Zwei dieser Geräte hat inzwischen Apple erstanden, um defekte Scheiben austauschen zu können.

Anisotropie: Phänomen oder Mangel

Ist die Scheibe nun defekt oder hat sie nur ein komisches Erscheinungsbild? Das ist die Frage, die Anisotropie in Scheiben aufwirft. Klaus Wittmann von BGT Bischoff Glastechnik berichtete über die Ursachen. Indes ist klar, Anisotropie beschert den Fassadenbauern immer wieder Ärger – den Bauherren und Architekten gefallen diese Erscheinungen immer häufiger nicht.

Normativ gelten die optischen Phänomene nicht als Mangel: In der EN 12150 sind sie als physikalische, visuelle Effekte beschrieben. Bei Kundenbeschwerden versucht sich die Mehrheit der Glashersteller mit Verweis auf die Norm aus der Affäre zu ziehen, bekanntermaßen nicht immer erfolgreich. Wittmann betonte, dass Bauherren und Architekten fordern, Anisotropie zu reduzieren.

Ursachen in der Glasproduktion

In der Herstellung werden ESG oder TVG auf 650 °C erhitzt und anschließend mit Kaltluft abgeschreckt. Durch das Abschrecken entstehen Spannungszonen, die zu Doppelbrechungen des Lichts, sogenannte Anisotropie, führen. Sollen die störenden Glasphänomene ursächlich reduziert werden, dann müsste die Vorspannungstechnologie unter die Lupe genommen werden. Mit Scheiben, die möglichst homogen vorgespannt werden, ließen sich wohl bessere Ergebnisse erzielen.

Abhängig von Blickwinkel und Beleuchtungssituation erscheinen Anisotropien als Polarisationsflecken, Ringe, Streifen oder Bänder in den Scheiben. Wittmann nannte folgende Einflussfaktoren:

  • Glasstärke
  • Basisglas z.B. Weißglas
  • Geometrie der Gläser
  • Gebogene Gläser
  • Beschichtungen
  • Bearbeitung wie Ausschnitte und Lochbohrungen

Bestimmte Licht- und Einbaubedingungen sorgen dafür, dass Anisotropie stärker wahrgenommen wird. Dabei kommt es auf den Betrachtungswinkel an, auf den Sonnenstand und die Lichtsituation im Gebäude – beispielsweise, wenn der Hintergrund der Scheiben eher dunkel ist. Ferner begünstigt ein hoher Polarisationsgrad wie er etwa in Amerika oder in Russland vorkommt die Wahrnehmung von Anisotropie.

Inzwischen können nicht mehr nur die Wissenschaftler des Labors für Stahl- und Leichtmetallbau der Hochschule München mithilfe sogenannter Polarisationsfilterbilder die unterschiedlichen Spannungen im Glas sichtbar machen und so auch die kleinste Anisotropie erkennen. Kai Vogel von der Firma Viprotron in Pfungstadt referierte auf dem Kongress über einen Anisotropie-Scanner, der im Werk des Glasveredlers in Echtzeit Anisotropie misst, detailliert darstellt, in unterschiedlichen Stufungen klassifiziert und Dokumente über die Qualitätsprüfung erstellt.

Der Scanner wird mit einer Erweiterung, einer zweiten Kamera, angeboten, mit deren Hilfe sich auch weiße Flecken im Glas auffinden lassen. Zwei unterschiedliche Infrarotkameras integriert in einem Scanner, ermöglichen diese Art der Qualitätskontrolle vor Auslieferung.

Dass es inzwischen marktreife Kameras gibt, mit denen sich die optischen Phänomene im Produktionsverlauf feststellen lassen, ist ein Fortschritt. Solange allerdings die Normen nicht beschreiben, wie sich Anisotropie als Fehler im Glas qualifizieren lässt, kann diese weiterhin zum Zankapfel zwischen Bauherren, Fassadenbauern und Glasveredlern werden. Um diesen Streit zu entgehen, hat beispielsweise ein Glasbieger davon Abstand genommen, ESG-Glas zu biegen. Die Beschwerden über Anisotropie waren allzu häufig und enorme Kosten für Reklamationen belehrten die Bieger eines Besseren.

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