KristallTurm expandiert weltweit

Berge versetzen kann Heinz Tretter zwar noch nicht ganz – aber fast, zumindest im übertragenen Sinn. Mit seinen patentierten Attraktionen macht das Unternehmen das „Klettern ohne Berge“ z.B. in Städten, auf Kreuzfahrtschiffen und in Einkaufszentren möglich. Dabei war es eher Zufall, dass der Unternehmer jetzt weltweit mit diesen Produkten expandiert. Zwei Leidenschaften prägen Tretter bis heute: das Arbeiten mit Holz und Skifahren. Nach der Schule lernte er erst Zimmerer, die Meisterausbildung folgte. Parallel  war Tretter von 1998 bis 2000 als C-Kader-Trainer für den Deutschen Skiverband aktiv, trainierte u.a. die „Gold-Marie“ Höfl-Riesch. Nach der Auflösung des Trainerteams kehrte er wieder zu seinem Handwerk zurück und absolvierte später auch den Technischen Betriebswirt. Zusätzlich gründete der umtriebige Geschäftsmann 2001 eine eigene Skischule mit mehr als 35 Skilehrern. Um auch im Sommer im Geschäft zu sein, kam ihm die Idee, in seinem Heimatort, dem oberbayerischen Lenggries, in unmittelbarer Nähe der Skipiste einen Kletterpark zu errichten. Und auch hier spielte der Schnee eine maßgebliche Rolle. Denn bei der Planung des Prototypen ließ er sich von der hexagonalen Form der Eiskristalle inspirieren. „Diese Form ist ideal, sie ist sehr flexibel und fast beliebig erweiterbar“, zeigt Tretter die Vorteile dieses Grundmoduls seiner Konstruktionen auf. Im Jahr 2007 hatte er seinen ersten Kletterpark aus reinem Douglasienholz errichtet, den er heute noch in Eigenregie betreibt. Dank der sechseckigen Form und der besonderen Konstruktion bietet dieses Modell gegenüber bisherigen Kletterparks einen entscheidenden Vorteil: „Bei diesem System sind keine Seile zur Abspannung der Anlage nötig. Das heißt, dieser Hochseilgarten kommt mit einer Grundfläche von 28 x 32 m aus. Standardseilgärten benötigen eine Grundfläche von zirka 4.000 m² für 40 bis 50 Stationen“, erläutert Tretter.

MountMitte für Berlin

Freizeitparkbesitzer entdeckten diese platzsparende Anlage im Internet und kontaktierten Tretter. Der erste Auftrag erfolgte 2010: Der Hochseilgarten MountMitte, nur wenige hundert Meter vom Berliner Reichstag entfernt. „Der von uns entwickelte und konstruierte MountMitte braucht mit seinen 120 Kletterstationen lediglich 1.000 m² Grundfläche. Das ist vor allem bei beschränktem Platz wie in Städten ideal“, sagt der Geschäftsführer. In  Anlehnung an die frühere Teilung der Stadt integrierte Tretter u.a. einen Trabi und einen VW Käfer in das Klettergerüst. Viele Holzarten sind witterungsanfällig und verlangen einen hohen Pflegeaufwand. Deshalb tüftelte Tretter zusammen mit einem Konstrukteur und Statiker bereits bei der Entwicklung des MountMitte an einer Verbesserung. Er ersetzte die tragenden Teile der Holzkonstruktionen durch Stahl und die Douglasie durch das sehr witterungsbeständige und pflegeleichte Lärchenholz. Parallel dazu meldete er sein neues System als Patent an. Rund 25.000 Besucher amüsieren sich seitdem jedes Jahr im Kletterpark in Berlins Mitte. Die Attraktion sprach sich herum, die Nachfrage wuchs und somit auch der Bedarf an Personal in der Werkstatt. 2014 kam Michael Haller ins Team – ein Metallbaumeister. Denn allein bei der gerade fertiggestellten Anlage in Kuba mit ihren gut 16 Metern Höhe wurden rund 35 Tonnen Stahl, cirka 10.000 Spax-Schrauben für Holz, 1,5 km Stahlseil und mehr als 500 Meter Polyesterseil verbaut. Für die Stahlkonstruktion waren weitere 5.000 schwere und sehr hochwertige Schrauben mit einem Gesamtgewicht von zirka 1.500 kg nötig. Hinzu kommen knapp ein Kilometer an Eisenrohren sowie gut 25 Tonnen Lärchenholz. Insgesamt summierten sich die Bauteile auf 21.000 Stück.  

Inzwischen zum Großteil Stahlbauarbeiten

„Stahlbau macht bei der Konstruktion einer Anlage rund 70 % der Gesamtarbeiten aus“, verdeutlicht Haller. Er schätzt an seiner neuen Tätigkeit die Abwechslung: „Keine Anlage gleicht der anderen.“ Zusammen mit dem Geschäftsführer ist er von Anfang an bei der Planung dabei, auch wenn er keine Ausbildung in der Holzverarbeitung hat. „Ich kann da immer Tretter fragen“, so der 25-jährige Metallbaumeister, der zugleich Betriebsleiter ist und die DSV-Ausbildung zum Internationalen Schweißfachmann absolvierte. „Die Hauptstützen mit 219 mm Durchmesser und einer Überlänge von mehr als zehn Meter bestellen wir bei einem Stahlwerk auf Maß, ebenso die groß dimensionierten Profile. Was unter 200 mm Durchmesser ist, wird in der eigenen Werkstatt bearbeitet“, so Haller. Gerade erst zog das Unternehmen in eine größere Werkstatt mit 1.000 m² am Ortsrand von Lenggries um.
Die Schweißer müssen sehr sorgfältig arbeiten. Da es aufgrund der sechseckigen Formen bei den Rundstützen kaum rechte Winkel gibt, werden die Einzelteile für die Anlagen erst auf Lochtischen mit Lehren und Winkeln entsprechend positioniert, geheftet und erst dann geschweißt. „Wir liefern hauptsächlich ins Ausland. Da besteht keine Möglichkeit mehr zur Nacharbeit. Jede Naht muss exakt sitzen. Sicherheit und Qualität gehen vor“, verdeutlicht Haller.

Regionale Produktion

Sicherheit und Qualität sind die Säulen, auf die Tretter baut. „Wir fertigen alles, was geht in unserer Werkstatt in Lenggries. Eine Herstellung im Ausland kommt für uns nicht infrage, da wir von unserer regionalen Produktion und von unseren Fachkräften sehr überzeugt sind.“ Deshalb arbeitet Tretter eng mit einem auf fliegende Bauten spezialisierten Statikbüro zusammen. Die Zertifizierung nach DIN EN 1090 war für das Unternehmen selbstverständlich. Material und Ausrüstung, alles ist DIN-geprüft. Zudem pflegt Tretter einen engen Kontakt mit der Schweiß- und Lehrversuchsanstalt München und ist Mitglied im DIN-Normenausschuss für Sport- und Freizeitgeräte (NASport).

TÜV Freigabe

„Außerdem lassen wir alle unsere Anlagen von deutschen TÜV Experten für fliegende Bauten, die ansonsten Achterbahnen etc. abnehmen, freigeben. Diese werden eingeflogen, egal ob die Attraktion in Kuba, Spanien, Russland, USA, Türkei oder auf einem Kreuzfahrtschiff steht. Das ist in der Kalkulation mit eingeschlossen und bei Vertragsabschluss eine Auflage für unsere Kunden“, betot der Firmeninhaber. Diese Sorgfalt bezieht sich natürlich auch auf die Sicherungssysteme beim Klettern. Sie wurden in Kooperation mit namhaften Herstellern entwickelt und werden von diesen bezogen. „Uns ist es wichtig, dass jeder Gast während seines Besuchs einer Anlage durchgehend gesichert ist“, konstatiert der 40-Jährige.
Die Kletterparks in Modulbauweise werden in drei Basisgrößen angeboten, die fast beliebig erweiterbar sind. Hinzu kommen noch zahlreiche Anbauteile, wie der Flying Fox (Seilrutsche), eine Riesenschaukel, Kletter- und Boulderwände sowie der neue Nervenkitzel „Pamper Pole“. Bei diesem lässt man sich gut gesichert mit ausgebreiteten Armen aus großer Höhe fallen und wird nach einem kurzen freien Fall vor dem Boden abgebremst. Mit im Portfolio sind zudem eine Eventplattform in luftiger Höhe oder eine Flutlichtanlage, die längere Öffnungszeiten ermöglicht.
Der KristallTurm Mikro mit einer Grundfläche von nur 8 x 14 m ist der kleinste im Angebot. Er wird in Form einer Raute auf zwei bis drei Ebenen gebaut und bietet Platz für bis zu 20 Personen. Der Mikro ist vor allem für Kletterhallen, Hotels, Einkaufszentren, Kreuzfahrtschiffe, aber auch dank seines schnellen Aufbaus für temporäre Events geeignet. Die Kosten: ab 80.000 Euro aufwärts. Fast alle Modelle können mit Eventplattformen oder den gewünschten Anbauten ausgestattet werden. Der größte KristallTurm mit 20 m Höhe fasst mit seinen vier Ebenen bis zu 160 Personen und kostet je nach Anbauten ab 800.000 Euro. Der Personalbedarf für den Betreiber liegt bei dieser Größe bei fünf Personen. Die Kletterzeit für die Besucher dauert etwa vier Stunden.

Themenschwerpunkte

Die Zielgruppen kommen aus allen Altersschichten, mit eingebautem Kinderparcour werden sogar kleine Kinder ab drei Jahren angesprochen. Je nach Schwierigkeitsgrad der Stationen eignen sich die Anlagen für Kletteranfänger sowie für ambitionierte Kletterer, aber auch für Gruppenveranstaltungen wie z.B. Teambuilding Events. „Alle Anlagen sind so entwickelt, dass sie wartungsarm sind, der Personalaufwand für die Betreiber möglichst gering ist und die Gäste mithilfe des Personals an jeder beliebigen Station aus dem Parcours „aussteigen“ können − falls jemand seine Kräfte überschätzt hat“, erläutert Tretter sein System. Besonders geschätzt von den Kunden werden die Themenschwerpunkte, die jede Anlage unter ein bestimmtes Motto stellen. „Der Staat Kuba bestellte eine sehr große Anlage im Wert von rund 1,2 Mio. Euro. Dort thematisierten wir die Zuckerrohrverarbeitung und Flamingos. In Moskau lautet das Motto „Raumfahrt“ und in der Schweiz integrierten wir in den Parcours eine echte Pistenraupe, Traktoren und Milchkannen“, erzählt Tretter.
Der Bau von kleinen Anlagen benötigt rund zwei Monate, für die großen Klettertürme veranschlagt der Unternehmer von der Vertragsunterschrift bis zur Eröffnung circa vier Monate, allerdings ohne Verschiffung. Die Teile werden in standardisierten Containern verschickt. „Allein mit Schweißen, Streichen und der Konstruktion der verschiedenen Kletterstationen sind zwei Zimmerermeister, ein Schlosser und ein Maschinenbauer circa zwei Monate beschäftigt“, zählt Haller auf. Die Montage vor Ort dauert je nach Größe der Anlage zwischen zwei und vier Wochen. Sie erfolgt mit eigenem Personal, allerdings sind Handwerker aus dem Zielland eine willkommene Unterstützung: „Das hat den Vorteil, dass der Auftraggeber bei der Wartung auch selbst Hand anlegen kann“, so Haller, der immer wieder mal mit auf Montage ist und schwärmt: „Das ist das Schöne an dieser Arbeit, egal ob in der Werkstatt oder auf Montage, wenn man dann bei der Eröffnung das Kinderlachen hört und begeisterte Besucher sieht.“

Schwindelfreiheit ist Voraussetzung

Rund 15 Mitarbeiter beschäftigt Tretter mittlerweile. Bei der Personalwahl achtet er sehr darauf, „dass seine Angestellten auch über den Tellerrand hinausschauen und sich für die anderen Gewerke interessieren.“ Das Team setzt sich zusammen aus zwei Schlossermeistern, zwei Schlossergesellen, einem Auszubildenden im Metallbau, drei Stationsbauern für Stahl, Holz und Kunststoff sowie zwei Allroundern für Holz. Hinzu kommen weitere Fachleute für die unterschiedlichsten Gewerke und die Verwaltung. Beim Montagepersonal ist Schwindelfreiheit absolute Voraussetzung. Die Ausbildung von Metallbauern, Zimmerern und Verwaltungsangestellten im eigenen Betrieb liegt dem Firmenchef besonders am Herzen: „Ich achte sehr darauf, dass unser Team zusammenpasst.“ Doch trotz dieser Anforderungen fällt es Tretter nicht schwer, Personal zu finden: „Wir haben eine gute Atmosphäre mit anspruchsvollen, aber abwechslungsreichen Aufgaben.“ Und der Vater zweier kleiner Kinder muss sich auch auf sein Team verlassen können, ist er doch in jüngster Zeit eher in der ganzen Welt unterwegs denn in Lenggries präsent. Neben der so wichtigen Mundpropaganda in Fachkreisen setzt er bei der Akquise vor allem auf die Fachmessen, die jährlich in Europa, Asien und USA stattfinden.

Mehrfach ausgezeichnet

Das Konzept scheint aufzugehen. „Unsere Orderbücher sind voll mit Aufträgen aus aller Welt“, freut sich Tretter. Deshalb setzt der mehrfach ausgezeichnete Firmenchef – Bayerischer Staatspreis für Innovation 2011 und Gründerpreis des Deutschen Handwerks 2014 – auf konsequente weltweite Expansion. „Nicht nur bei uns, sondern vor allem in den USA ist Klettern ein absoluter Trendsport. Hier baue ich gerade ein Lizenzsystem auf, das nach und nach auf andere Kontinente ausgeweitet werden soll.“ Aber auch für den Service bietet Tretter ein umfangreiches Rundum-Paket. „Wir machen Standortanalysen, bieten Leasing-Möglichkeiten sowie Wirtschaftlichkeitsberechnungen und unterstützen unsere Kunden beim Marketing.“
Gerade mal fünf Jahre sind seit der Gründung von KristallTurm vergangen – Jahre des starken Wachstums. Dass dies so weitergeht, davon ist der Zimmerermeister, der auch die kaufmännische Seite sehr genau im Blick hat, überzeugt: „Aufgrund unserer Patente haben wir so gut wie keine Konkurrenz.“ Und die Zahlen sprechen für ihn. Der Umsatz hat sich von 2013 auf 2014 mit rund 2,4 Mio. Euro fast verdoppelt. Auch für 2015 zeigt die Entwicklung, genau wie seine Produkte, nur in eine Richtung: nach oben.

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