Konstruktiver Glasbau

Kongress an der Hochschule München

Über 220 Bauingenieure, Fassadenbauer und einige Architekten nahmen im April am Kongress „Glas im konstruktiven Ingenieurbau“ teil. Die Veranstaltung wird jährlich vom Verein der Freunde des Stahlbaus an der Hochschule München e.V. organisiert.

Mit spektakulären Objekten, neuen technischen Entwicklungen und innovativen Produkten war über zwei Tage lang ein abwechslungsreiches Programm an der Hochschule München geboten. „Bei der Auswahl der Vorträge lag uns an den Themen Qualitätssicherung und Management im Fassadenbau“, sagte Prof. Christian Schuler, der im Bauingenieurwesen das Fachgebiet Glas- und Fassadenbau betreut.

Internationale Aufträge. Angesichts der zahlreichen internationalen Aufträge in diesem Marktsegment wachsen die Anforderungen an Qualität und Management beständig. In Europa lässt sich im konstruktiven Glasbau ein einheitlicher Standard leichter mit dem Eurocode Glass umsetzen. Allerdings wurde dieser von Dr.-Ing. Ruth Kasper von der RWTH Aachen erst für das Jahr 2019 in Aussicht gestellt. Als europäische Objekte wurden die U-Bahn-Station Tottenham Court Road Station in London vorgestellt sowie der Glaskubus „Pas dans le Vide“ im Mont-Blanc-Massiv. Die wachsende Bedeutung der Aufträge aus anderen Kontinenten unterstrichen die Vorträge über den Bau des Dhaka Freedom Tower in Bangladesch und über die Projektabwicklung des Bahá‘í Temple in Santiago de Chile (siehe S. 18). Engineering aus Deutschland, eine internationale Fertigung in diversen Ländern und die Ausführung mit heimischen Monteuren vor Ort macht derzeit Schule.

Die ausländischen Monteure, die die Projekte deutscher Fassadenbauer vor Ort beispielsweise in Bangladesch ausführen, haben prinzipiell kein Recht auf einen Arbeitsschutz nach deutschen Vorgaben. „Unsere Vorschriften für den Arbeitsschutz gelten im Ausland nur für Ausführende, die über einen Werkvertrag an eine deutsche Firma gebunden sind“, konstatierte Dr. Marco Einhaus. Der Dipl.-Ing ist bei der BG-Bau in München für die Sicherheit im Hochbau zuständig.

Er informierte, dass brandaktuell am Vortag der Tagung der ASR A 2.1 der Punkt 8 „Abweichende/ergänzende Anforderungen für Baustellen“ hinzugefügt wurde. Diese Passage legt fest, dass künftig „generell ab einer Absturzhöhe von zwei Metern Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind“. Dies gilt bereits, wenn z.B. eine Hebebühne über eine Höhe von zwei Metern ausgefahren wird.

Nach Erfahrung von Einhaus haben sich vor allem Oberlichter als Gefahrenquellen erwiesen. Die seit Ende 2013 gültige DIN 4426 trifft in puncto Sicherheit folgende Aussage für Lichtkuppeln und Lichtbänder, die konstruktiv nicht durchsturzsicher sind: Diese „müssen mit geeigneten Umwehrungen, Überdeckungen oder Unterspannungen z.B. Schutznetzen nach DIN EN 1263 ausgeführt sein, die ein Durchstürzen von Personen verhindern“.

Glasflächen nach DIN 18008 beispielsweise dürfen zu Inspektions-, Reinigungs- und Wartungszwecken nur betreten werden, wenn die Betretbarkeit nach den Technischen Baubestimmungen nachgewiesen ist. Eine betretbare Fläche ist nach DIN 4426 eine Fläche, die nur zur Inspektion oder Wartung benutzt wird. Begehbar hingegen ist eine Fläche, die sich als Arbeitsplatz oder Verkehrsweg nutzen lässt.

Punkt 6 der DIN 4426 regelt die zusätzlichen Anforderungen, die für Arbeitsplätze an Fassaden und Fenstern nötig sind. Schutz gegen Absturz ist für Arbeitsplätze und Verkehrswege an Fassaden schon bei einer Absturzhöhe von mehr als einem Meter zu treffen. Lässt die Fassade eine Umwehrung gemäß der DIN-Norm nicht zu, dann können Inspektions- und Wartungsarbeiten an Fassaden mit einer persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz ausgeführt werden. Des Weiteren werden normative Vorgaben für die Anschlageinrichtungen und die Verwendung von Leitern gemacht.

Dr. Einhaus machte darauf aufmerksam, dass bei Hochbauten vor allem Sicherheitsmaßnahmen außer Acht gelassen werden, die herunterfallende Teile betreffen. „Beim Bau des Skyline Towers in München hätte beispielsweise bei gewissen Bauabläufen der Mittlere Ring gesperrt werden müssen.“ Es sei nicht auszudenken, wenn eine M20- Schraube aus einer Höhe von 100 Metern auf die Windschutzscheibe eines Autos trifft.

Sicheres Kleben. Einen roten Faden zur sicheren Verklebung gab Dr. Stefan Brendler, der am Regierungspräsidium Tübingen tätig ist. Gleich vier Gründe führte er für den Trend zum Kleben an: die Optik, die flächige und gleichmäßige Lasteneinleitung, neue konstruktive Chancen sowie das Faktum, dass durch die möglichen großen Deformationen viel Energie aufgenommen werden kann.

Diesen Vorteilen stehen doch einige Herausforderungen gegenüber: Beispielsweise aufwändige Versuche und Gutachten im Rahmen umfassender Genehmigungen. Schwierig ist die Klebtechnologie auch hinsichtlich ihrer Bemessungsregeln und der komplexen numerischen Simulation, die viel Erfahrung bedarf, wie Dr. Brendler ausführte. Abläufe und Prozesse bei der Fertigung fordern große Sorgfalt, nicht zuletzt weil die Reparaturmöglichkeiten gering sind. Aussagen über die Lebensdauer sind rar, schließlich sind Forschungsarbeiten zu Technologien wie Structural Glazing erst seit den 1980er-Jahre möglich.

Dr. Brendler empfahl, die Phase der Gutachten für Klebstoffkennwerte, Kleinbauteilversuche und Referenzproben mit den statischen Berechnungen zu koppeln. Mit diesen sollen u.a. die Einwirkungen der Klebverbindung geprüft werden (siehe Infokasten). Der Experte hob hervor: „Ergeben sich im Laufe des Prozedere Unklarheiten, sollten sich die am Auftrag Beteiligten frühzeitig mit der Baubehörde absprechen, anstatt hinterher auf einen ‚großen Sicherheitsfaktor’ hinzuweisen.“

PVB im konstruktiven Glasbau. Auf großes Interesse stieß das Referat von Matthias Haller, Mitarbeiter der Eastman Chemical Company, die ihre Zentrale in Kingsport, Tennessee/USA hat. Er präsentierte Saflex DG: eine hochsteife/strukturelle PVB Folie, die sich in Kombination mit vorgespanntem Glas durch die Merkmale der Splitterbindung, des UV-Lichtschutzes, der Kantenstabilität, Klarheit sowie Lärmreduzierung auszeichnet.

Besondere Pluspunkte bietet die Spezialfolie für begehbare und betretbare Verbundverglasungen, Treppenstufen, Balkonbrüstungen und punktgehaltene Verglasungen wie beispielsweise Vordächer und Überkopfverglasungen allgemein. Das Unternehmen Eastman möchte mit dieser Innovation auf die aktuelle Entwicklung der Architektur antworten: „Auf den Trend zu höheren Gebäuden, einer nachhaltigeren Bauweise sowie kreativen Geometrien.“ Die neuartige PVB-Folie kann für alle Arten von Verglasungen, die bei einem Bruch intakt bleiben sollen, eine Lösung sein.⇥ma ◊

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