DIBt, Vizepräsident Karsten Kathage

„Die MVV TB wird konkret.“

Der Europäische Gerichtshof erklärte in seinem Urteil C-100/13  vom 16. Oktober 2014 das Vorgehen Deutschlands für unzulässig, nationale Zusatzanforderungen an Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung zu stellen. Gleichzeitig sind die Angaben zu Produktleistungen, die nach harmonisierten Normen möglich sind, in einigen Fällen aus nationaler Sicht unzureichend. In diesen Fällen sind zusätzliche Nachweise sinnvoll. Die deutsche Bauaufsicht hat dem Deutschen Institut für Normung (DIN) hierzu eine sogenannte „Prioritätenliste“ mit den harmonisierten Normen übermittelt, die aus ihrer Sicht lückenhaft sind. Durch die veränderte Rechtssituation tragen Ausführende jetzt mehr Verantwortung dafür, dass bei der Bauausführung die nationalen Anforderungen an die Bauwerkssicherheit erfüllt werden. Beim Fassadentag in Leipzig hat Stefanie Manger bei Dr.-Ing. Karsten Kathage, Vizepräsident des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt), nachgehakt, inwiefern Metallbaubetriebe davon betroffen sind.

metallbau: Inwiefern betreffen die Änderungen des Baurechts im Zusammenhang mit der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) die ausführenden Unternehmen?

Dr.-Ing. Karsten Kathage: Die ausführenden Unternehmen haben die Verantwortung, aus dem Markt der vorhandenen Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung diejenigen herauszufiltern, mit denen sich die nationalen Anforderungen an Bauwerke erfüllen lassen.

metallbau: Das hört sich nach Mehraufwand und Fehlerquellen an. Ab wann gelten die neuen rechtlichen Regelungen?

Dr. Kathage: Die Bauministerkonferenz hat im Mai 2016 eine neue Musterbauordnung beschlossen. Seit Ende August liegt zudem die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) vor. Die Muster entfalten selbst keine Rechtswirkung, sie müssen zunächst in Landesrecht umgesetzt werden. Bislang haben Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen eine neue Landesbauordnung verabschiedet, die Verwaltungsvorschrift ist noch in keinem Bundesland eingeführt. Die Länder stimmen sich gerade ab, wie sie bis zur vollständigen Umsetzung der Musterbauordnung und der Muster-Verwaltungsvorschrift in Landesrecht vorgehen wollen. Bauausführende sollten sich regelmäßig informieren. Das DIBt hat zum Beispiel auf seiner Website eine Rubrik „Aktuelles zur Novellierung des Bauordnungsrechts“ eingerichtet, auf der wir Hersteller und Anwender über wichtige Entwicklungen auf dem Laufenden halten.

metallbau: Mit der Baurechtsnovelle steigt die Verantwortlichkeit der Ausführenden weiter. Muss in den Ausschreibungen auf die lückenhaften harmonisierten Normen bzw. auf die zusätzlichen Nachweise, die für bestimmte Bauprodukte notwendig sind, hingewiesen werden?

Dr. Kathage: Ich würde Ausschreibenden auf jeden Fall empfehlen, ihre Anforderungen möglichst genau zu beschreiben, dabei die Technischen Baubestimmungen im Blick zu behalten und sich ggf. ergänzende Nachweise vorlegen zu lassen.

metallbau: Aber die Verantwortung, dass die Vorgaben eingehalten werden, liegt bei den Ausführenden?

Dr. Kathage: Soweit sich die Anforderungen an die Ausführung richten, ja. An der Anhörung zur MVV TB waren deshalb auch die Bauausführenden beteiligt. Mit der MVV TB musste ein Kompromiss gefunden werden. Und Sie wissen ja, was man von guten Kompromissen sagt: Sie tun allen Seiten ein Stück weit weh.

metallbau: Können Sie einschätzen, wie viele Bauprodukte im Gewerk Metallbau von lückenhaften harmonisierten Normen betroffen sind?

Dr. Kathage: Im Metallbau gab es schon vor dem EuGH-Urteil keine Nachregelungen für Produkte des konstruktiven Aluminium- und Stahlbaus. Deshalb würde ich sagen, dass der Metall- und Stahlbau von lückenhaften harmonisierten Normen nicht direkt betroffen ist.


metallbau: Aber der Fassadenbau?

Dr. Kathage: Der Fassaden- und zum Teil auch der Glasbau sind betroffen. Insgesamt hat das DIBt eine Prioritätenliste mit 84 harmonisierten Normen erstellt, die lückenhaft sind, und auf seiner Website veröffentlicht. Bei Produkten nach diesen harmonisierten Normen fehlen trotz CE-Kennzeichnung für bestimmte Verwendungen wesentliche Leistungsangaben. Dadurch kann die Einhaltung der deutschen Bauwerksanforderungen nicht zweifelsfrei beurteilt werden.

metallbau: Welche Produkte der Fassadenbauer sind betroffen?

Dr. Kathage: Zum Beispiel Wärmedämmverbundsysteme und Verbundsicherheitsglas.

metallbau: Mit welchen Nachweisen lassen sich die Lücken der harmonisierten Normen schließen? Welche Dokumente sollten in den Unterlagen des Projekts nicht fehlen?

Dr. Kathage: Fehlende Produktleistungen können beispielswei-se über eine Europäische Technische Bewertung (ETA) ergänzt werden. Darüber hinaus sind freiwillige Nachweise durch Technische Bewertungsstellen (TAB), wie das DIBt, möglich. Wenn ein anerkanntes Prüfungsverfahren vorliegt, können auch notifizierte Stellen die fehlenden Nachweise erstellen.

metallbau: Also, die Ausführenden müssen sich darum kümmern, dass ihre CE-gekennzeichneten Produkte, die sie in Deutschland verarbeiten, alle Anforderungen der MVV TB erfüllen. Ob  für eine Ausschreibung weitere Nachweise angefordert werden sollten, wird sich wohl am einfachsten mit einem Abgleich der Normen in der Ausschreibung und der sogenannten Prioritätenliste herausfinden lassen?

Dr. Kathage: Ja genau.

metallbau: Kritik gab es auch am DIBt. Lässt sich das DIBt von der EU gängeln und ist eher mit sich selbst beschäftigt als mit sinnvollen Regeln für sicheres Bauen?

Dr. Kathage: Ein ganz entschiedenes Nein. Ich denke, keiner im Bauwesen will die Europäisierung ernsthaft zurückdrehen. Wenn wir aber zur EU und zum Rechtsstaatlichkeitsprinzip stehen, müssen Meinungsverschiedenheiten im Rahmen des geltenden Rechtsrahmens ausgehandelt werden. Genau das hat die deutsche Bauaufsicht, einschließlich DIBt, in den letzten Jahren getan und dabei viel erreicht, zum Beispiel in Bezug auf die freiwilligen Nachweise.
Ich kann verstehen, dass es für die Einzelnen frustrierend ist, wenn sie auf eine Frage keine Antwort bekommen, weil grundlegende Entscheidungen noch ausstehen. Auch das DIBt war nicht glücklich damit, bei manchen Anliegen zunächst nicht weiterhelfen zu können. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir in den vergangenen Jahren sehr hart gearbeitet haben, um die Bauwerkssicherheit in Deutschland auch weiterhin zu gewährleisten.

metallbau: Schmälert die EU nicht die Zuständigkeiten des DIBt?

Dr. Kathage: Im Gegenteil. Die Aufgaben des DIBt sind durch die Europäisierung eher gewachsen. Wir sind auch Technische Bewertungsstelle. An vielen Stellen erteilen wir heute Europäische Technische Bewertungen (ETA) statt Zulassungen. Hier sind wir mit Aufgaben beschäftigt, die sich aus der Bauproduktenverordnung ergeben. Auch die Marktüberwachung von CE-gekennzeichneten Bauprodukten ist ein weiteres Aufgabenfeld des DIBt.

metallbau: Noch ein ganz anderes Thema: Sie haben sich ja dieses Jahr dafür ausgesprochen, dass die EN 1090 Teil 1 zurückgezogen werden soll. Was ist mit Ihrem Hinweis?

Dr. Kathage: Richtig. Meine Meinung hierzu können Sie im DIBt-Newsletter 2/2017 nachlesen. Gleichzeitig hatte ich in meinem Artikel auch darauf hingewiesen, dass eine Mehrheit der Normungsbeteiligten sich dafür ausgesprochen hat, an Teil 1 festzuhalten. Allerdings wird der Teil grundlegend überarbeitet. In der aktuellen Fassung ist er nicht mit der Bauproduktenverordnung konform und zu wenig nutzerfreundlich.

metallbau: Und die Neufassung sorgt dann bei den Ausführenden für Klarheit anstatt für Unsicherheit?

Dr. Kathage: Das möchten die Normungsbeteiligten erreichen. Aber das wird noch eine Weile dauern.

metallbau: Inwiefern werden die Inhalte dann für die Anwender klarer?

Dr. Kathage: Der Anwendungsbereich der EN 1090 wird eindeutig definiert, sodass deutlich wird, für welche Bauprodukte die Norm anzuwenden ist und für welche nicht. Ferner wird die Norm an die Bauproduktenverordnung angepasst. Diese beiden Ziele sind Vorgabe für die laufende Überarbeitung.

metallbau: Wann soll denn die überarbeitete Fassung fertig sein?

Dr. Kathage: Die Entwurfsfassung wird voraussichtlich nächstes Jahr vorliegen.

Die Prioritätenlisten (84 hEN) steht unter www.dibt.de in der Rubrik „Aktuelles zur Novellierung des Bauordnungsrechts“.

Leipziger Fassadentag

Neben der Novellierung der Musterbauordnung ging es auf dem Leipziger Fassadentag im Audimax der HTWK Leipzig um Schallschutz bei WDVS-Fassaden, sinnvolle Anforderungen an das Brandverhalten von Außenwandbekleidungen sowie um die Optimierung von Wärmebrücken an VHF und Befestigungsmittel im Fassadenbau. Wir werden in der Novemberausgabe einen Fachbericht veröffentlichen, der die wesentlichen Informationen dieser Vorträge zusammenfasst.

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