DIN 18008 - der BF stellt klar

Die DIN 18008 hat im Wesentlichen die Inhalte der bisherigen „Technischen Regeln“ übernommen und an die aktuellen Anforderungen an das Bauen mit Glas und den aktuellen Stand der Technik in Bezug auf Bemessung und Konstruktion angepasst. Obwohl sich die Norm in der Praxis bereits etabliert hat, gibt es immer wieder Aufregung um ihre Auswirkungen. Der Bundesverband Flachglas hat einige „Mythen“ untersucht, die in diesem Zusammenhang kursieren. Im zweiten Teil des Beitrags folgen Ratschläge, wie sich der Fachbetrieb verhalten sollte. Im dritten Teil wird noch auf eine bevorstehende Änderung eingegangen: der Verpflichtung zu Sicherheitsglas unter Brüstungshöhe.



Teil 1: Mythos und Wahrheit

Mythos 1: Früher musste man doch auch nicht dimensionieren.
Doch, das musste man auch nach den „Technischen Regeln“ schon – außer für die kleinen Scheiben, die damals wie heute unter die „Nachweiserleichterung“ fielen (vgl. Mythos 3).

Mythos 2: Aber früher waren es nur technische Regeln, und jetzt ist es eine Norm – das wiegt rechtlich viel schwerer.
Das stimmt nicht. Auch die bisherigen technischen Regeln waren sowohl nach dem Bauordnungsrecht als auch nach dem Werkvertragsrecht des BGB und der VOB/B einzuhalten. Durch das Fortschreiben der anerkannten Regeln der Technik nach dem Stand des technischen Fortschritts hat sich für den Fachbetrieb nichts geändert.

Mythos 3: Jetzt muss man auf einmal jede Scheibe dimensionieren.

Wie bisher gilt die „Nachweiserleichterung“, und sie besagt, dass man Scheiben bis 1,6 m² Fläche ohne weiteren Nachweis verwenden darf, wenn bestimmte Voraussetzung erfüllt sind (Siehe Abb. 1 – Auszug aus DIN 18008-2). Demnach ist – wie bisher – zumindest nachzuprüfen, ob die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Mythos 4: Durch die Einführung der Norm ist nicht mehr klar, wer eigentlich für die Bemessung verantwortlich ist.
Zunächst gilt: Der Fachbetrieb ist seinem Kunden gegenüber immer dafür verantwortlich, dass sein Produkt den anerkannten Regeln der Technik entspricht, hier also: nach der Norm bemessen wurde.
Die Verantwortlichkeit kann natürlich bei einem konkreten Vertragsabschluss dahin geregelt werden, dass der Kunde selbst für die Dimensionierung verantwortlich ist (indem er z. B. einen Statiker beauftragt).

Mythos 5: Die Isolierglasindustrie hat – ohne Rücksicht auf die Verarbeiter und das Handwerk – die Norm extra so gestaltet, dass alle Gläser dicker werden als früher.
Für großformatige Isoliergläser ergeben sich im Gegenteil in zahlreichen Fällen sogar geringere Glasdicken. Für sonst nicht nachweisbare kleinformatige Isoliergläser sind dickere Gläser auch eine „bedenkliche Lösung“, weil die Scheiben zum Nachteil des Randverbundes entlastet werden (siehe auch Mythos 6).
Die konstruktiven Randbedingungen sind den bisherigen sehr ähnlich, weitgehend sogar identisch. Lediglich die Durchbiegungsbeschränkungen sind nun einheitlich auf „1/100 der Stützweite in Scheibenmitte“ festgelegt, wobei aber bei Vertikalverglasungen auch gewisse Überschreitungen zulässig sind.

Mythos 6: Es muss jetzt überall ESG verwendet werden.
Neben bestimmten Dreifach-Aufbauten zeigen sich bei kleineren Scheiben in Lastfällen, in denen die Klimalast maßgebend ist, unzulässig hohe Spannungsausnutzungen. Das geeignete Gegenmittel sind hier nicht dickere Gläser (die führen zu höherer Belastung des Randverbundes, weil sie steifer sind), sondern der Einsatz von ESG.
Dass kleine Scheiben, insbesondere mit ungünstigem Seitenverhältnis, problematisch zu dimensionieren sind, ist lange bekannt. Durch das Bemessungskonzept der DIN 18008 und das damit verbundene Sicherheitsniveau haben sich allerdings diese Fälle auf mehr Scheibenformate als früher ausgedehnt, so dass ein beträchtlicher Teil der marktgängigen Formate betroffen ist und in der gewohnten Ausführung „2 x 4 mm Float“ nicht mehr nachgewiesen werden kann. Wenn die Scheiben kleiner als 1,6 m² sind, gilt derzeit die Nachweiserleichterung (vgl. Mythos 3). Dennoch gibt es hier ein Problem, das tatsächlich während der ganzen, zehn Jahre lang dauernden Arbeit an der Norm nicht aufgefallen ist oder nicht angegangen wurde.
Der zuständige Normenausschuss hat das erkannt und diskutiert derzeit eine Reform der Glasbemessung für kleinformatige Isoliergläser mit einer Fläche bis zu 2 m². Die Begründung dafür ist, dass die möglichen Schadensfolgen bei einem Versagen allseitig gelagerter, normaler Verglasungen bis zur Größe von 2 m² als überschaubar angesehen werden – eine Gefahr für Leib und Leben wird von diesen Scheiben nicht ausgehen. Das Ergebnis dieser Reform wird voraussichtlich sein, dass der Nachweis der Spannungen für solche kleinformatigen Isoliergläser auf dem Sicherheitsniveau der Gebrauchstauglichkeit geführt werden darf und damit unter dem Niveau der alten TRLV liegt. Diese Reform soll dann auch für alle kleinformatigen Isoliergläser gelten und nicht nur für Vertikalverglasungen mit weiteren Einschränkungen (vgl. Mythos 3). Deshalb soll dann allerdings nach heutigem Stand sozusagen „im Gegenzug“ die bisherige Nachweiserleichterung entfallen.

Teil 2: Wie sich der Fachbetrieb verhalten sollte
Die Änderung der Anforderungen bei kleineren Scheiben wie unter „Mythos 6“ beschrieben kann nach heutigem Stand frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2017 in Kraft treten. Bis dahin gilt die Norm so, wie sie ist, und man ist gut beraten, sich mit ihr zu befassen und sie einzuhalten.
Der Fachbetrieb haftet seinem Kunden gegenüber für die Einhaltung der Norm. Wie beschrieben (s. den Text zu Mythos 3), gilt bei Scheiben bis 1,6 m², wie schon früher bei der TRLV, derzeit weiterhin die Nachweiserleichterung. Sie wurde schon immer gerne so ausgelegt, dass hier „alles erlaubt“ sei. Kann man hier also nach Erfahrungswerten bzw. „Pi mal Daumen“ dimensionieren?
Natürlich haftet der Fachbetrieb trotzdem dafür, dass er ein Produkt liefert, das seinen Zweck erfüllt, das also funktionstauglich ist. Wenn die Glasscheibe ihren Zweck nicht erfüllt und bricht, so wird der Richter im Zweifelsfall einen Sachverständigen mit der Klärung der Ursache des Glasbruches beauftragen. Im Rahmen der Vorarbeiten zu seinem Gutachten wird der Sachverständige als erstes danach fragen, wie der Fachbetrieb die Dimensionierung berechnet hat. Kann eine Dimensionierung darauf nicht vorgelegt werden, so begründet dies alleine schon einen Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik (und führt damit im Zweifel auch zu einem Verlust des Prozesses einschließlich Sachverständigenkosten).
Für Scheiben unter 1,6 m², die unter die „Nachweiserleichterung“ fallen (und gerade da gibt es die „kritischen“ Formate), gilt ungeachtet dessen: Auch diese Scheiben müssen richtig dimensioniert werden, um ihren Zweck zu erfüllen. Der einzige Unterschied liegt darin: Hier hat der vom Gericht beauftragte Sachverständige keine Rechtsgrundlage, nach Vorlage der Berechnung zu fragen.
Oft wird als Argument gegen die Norm angeführt, früher sei doch auch nichts passiert; es habe nie Schadensfälle gegeben. Da möchte man antworten: Dann wird in den gleichen Fällen ja wohl heute auch nichts passieren, denn die Physik hat sich nicht geändert, sondern nur die Norm. Ob der Fachbetrieb das unternehmerische Risiko eingeht, von der Nachweiserleichterung Gebrauch zu machen und Scheiben bis 1,6 m² so auszuführen, wie er das immer schon getan hat (so dass diese nach seiner Erfahrung nicht kaputtgehen), das ist seine unternehmerische Entscheidung. Genau wie früher zu Zeiten der Technischen Regeln.
Bei großen Bauvorhaben muss die Ausschreibung geprüft werden. Ein sorgfältig erstelltes Leistungsverzeichnis gibt Auskunft darüber, ob die korrekte Glasbemessung vom Fassadenbauer geschuldet wird (siehe § 3 Abs. 5 VOB/B). Bei öffentlichen Ausschreibungen sollte, wenn das Leistungsverzeichnis insoweit „schweigt“, gerügt werden, dass die Ausschreibung nicht eindeutig im Sinne von § 7 Abs. 1 VOB/A ist. Im normalen „Tagesgeschäft“ ist eine vertragliche Klärung herbeizuführen.
Gelegentlich übernimmt der Glas- oder Isolierglaslieferant für seinen Kunden die Dimensionierung. Dann haftet er als Fachunternehmer selbstverständlich für die Richtigkeit dieser Leistung, sofern er die notwendigen Angaben zum konkreten Bauvorhaben korrekt übermittelt bekommen hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Verglasungs- oder Fensterbau-Fachbetrieb gegenüber seinem Kunden haftet.
Oft wird die Leistung der Dimensionierung auch nicht vom Glas- oder Isolierglaslieferanten verlangt, sondern es wird ein vorgegebener Glasaufbau bei ihm bestellt. In diesem Fall haftet er selbstverständlich nicht dafür, dass dieser Glasaufbau für den vorgesehenen Einsatzzweck ausreichend dimensioniert ist, wenn er im Übrigen keine Kenntnisse über das konkrete Bauvorhaben hat.
Praxisrelevant sind natürlich alle denkbaren Fallgestaltungen zwischen diesen beiden Konstellationen, die in den vorangegangenen Absätzen geschildert sind. So muss der Glas- oder Isolierglaslieferant häufig aufgrund unvollständiger Informationen zu Verwendung und Einbauort eine „Vordimensionierung“ vornehmen, um überhaupt ein Angebot abgeben zu können. In diesem Fall muss er das Angebot deutlich dahin kennzeichnen, dass ihm die zur korrekten Dimensionierung nach DIN 18008 erforderlichen Informationen zur Angebotserstellung nicht vorgelegt wurden und dass die Dimensionierung bei Auftragserteilung erstellt werden müsse. Auch an dieser Tatsache hat sich gegenüber den bisherigen Regelwerken nichts geändert.
Für alle beteiligten Fachbetriebe in der Lieferkette gilt ohne Wenn und Aber: Das gelieferte Produkt muss am Ende mangelfrei sein, und jeder haftet dafür, dass eine Leistung, wenn er sie denn übernommen hat, auch fachgerecht ausgeführt wurde. Dazu gehört auch die korrekte Bemessung und fachgerechte Ausführung der Konstruktion nach den entsprechenden Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Und auch das war schon immer so!
Von der Pflicht zur ordnungsgemäßen Glasdimensionierung nach DIN 18008 zu trennen ist die Pflicht zur Erstellung der bautechnischen Nachweise, mit denen die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit (Statik) sowie auch an den Brand-, Schall-, Wärme- und Erschütterungsschutz sowie die Energieeinsparung belegt wird. Beispielsweise wird die Standsicherheit durch einen Tragwerksplaner bestätigt.

Teil 3: Zukünftige Pflicht zur Verwendung von Sicherheitsglas
Vertikalverglasungen sollen bis mindestens 0,80 m über Verkehrsflächen zukünftig auf der zugänglichen Seite als „Glas mit sicherem Bruchverhalten“ auszuführen sein, in der Regel also als Einscheibensicherheitsglas (ESG) oder Verbundsicherheitsglas (VSG).
Dieser Vorschlag wurde grundsätzlich vom Bundesverband Flachglas in den Normenausschuss eingebracht und findet dort eine breite Mehrheit. Es ist damit zu rechnen, dass er in die anstehende Überarbeitung der Norm (voraussichtlich zweite Jahreshälfte 2017, s. oben in Teil 2) aufgenommen wird. Ziel ist, das Verletzungsrisiko, v. a. für Kinder, zu reduzieren; Musterbeispiel sind die typischen Fenstertüren zur Terrasse.
Die berühmt-berüchtigten Lichtausschnitte in Innentüren sind hiervon leider nicht erfasst, denn die DIN 18008 gilt zwar auch für Glas im Innenausbau (z. B. Trennwände), aber nicht für Türen. Hier können ggf. andere Anforderungen bestehen, die die Verwendung von Sicherheitsglas verlangen – sinnvoll ist sie sowieso.
Mit der Normänderung wird sich die Situation in Deutschland an andere europäische Länder, wie z. B. Italien, Belgien oder Niederlande, angleichen, wo bereits heute – und teilweise auch für weitere Anwendungsbereiche – Sicherheitsglas vorgeschrieben ist.
Die Normänderung kann dann in Deutschland zum Anlass genommen werden, das Thema Sicherheitsglas auch bei Berufsgenossenschaften, Versicherungen etc. weiter voranzutreiben.
Oft wird – wie schon beim Siegeszug des Dreifachglases – das Gewichtsargument entgegengehalten; durch Sicherheitsglas werde alles schwerer. Dazu ist zu sagen: ESG ist bekanntlich nicht schwerer als Float, und durch sein günstigeres statisches Verhalten kann die ESG-Scheibe oft sogar dünner, also leichter sein als die Float-Scheibe, die sie ersetzt. Auch VSG gibt es in dünnen Ausführungen. Und die zu ersetzende Float-Scheibe wäre ja auch nicht in jedem Fall nur 4 mm dick gewesen. Natürlich verdoppelt sich das Gewicht, wenn statt 4 mm Float 8 mm VSG eingesetzt wird – aber das betrifft doch nur einen Bruchteil der Anwendungen.

Fazit


Die Norm hat viele weitere positive Aspekte, die hier nicht behandelt wurden. Zum Beispiel die Vorteile von vorgespanntem Glas, die Lagerungsbedingungen bei raumhohen Verglasungen, die Kombination aus punkt- und linienförmiger Lagerung, die Erweiterung der Tabelle mit den bereits in Bezug auf die Absturzsicherheit nachgewiesenen Glasaufbauten oder auch die Möglichkeit, den Pendelschlagversuch simulieren zu dürfen.
Die verpflichtende Verwendung von „Glas mit sicherem Bruchverhalten“ unter 0,80 m wird, wie die gesamte Norm, weiter dazu beitragen, den Einsatz des Werkstoffes Glas sicherer zu machen. Daran sollten alle betroffenen Gewerke ein gemeinsames Interesse haben.

Die DIN 18008, Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln, ist DIE Norm in Deutschland für die Bemessung von Glas. Die Teile 1 – 5 sind in allen Bundesländern baurechtlich eingeführt und ersetzen somit die bisherigen gültigen Regelwerke, insbesondere die „Technischen Regeln“ des DIBt: TRLV, TRAV und TRPV. Die Glasbemessung wird hierdurch auf das Konzept der „Teilsicherheitsbeiwerte“ umgestellt, das bei allen anderen Werkstoffen wie z. B. Stahl, Beton und Holz schon seit Jahren angewendet wird. Die bis dato gültigen Technischen Regeln und DIN-Normen zur Bemessung und Konstruktion von Verglasungen werden somit in einem Regelwerk zusammengefasst

Bisher liegen folgende Teile der DIN 18008 vor:
Teil 1: Begriffe und allgemeine Grundlagen
Teil 2: Linienförmig gelagerte Verglasungen
Teil 3: Punktförmig gelagerte Verglasungen
Teil 4: Zusatzanforderungen an absturzsichernde Verglasungen
Teil 5: Zusatzanforderungen an begehbare Verglasungen.

Noch nicht abgeschlossen ist Teil 6, der die „Zusatzanforderungen an zu Reinigungs- und Wartungsmaßnahmen betretbare Verglasungen” beinhaltet.

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