Die AR-Brille für zwei Welten

Mixed Reality: digital und real zugleich

Die Unger Steel Group war beim Bau der ÖAMTC-Zentrale für die Ringfassade, die Hochgarage, den Hangar, sowie den Heliport verantwortlich. Für seine Arbeit hat der österreichische Stahlbauer inzwischen zwei Preise erhalten: den österreichischen Stahlbaupreis und den Solid BautechPreis. Im Zuge dieses Auftrags kam die AR-Brille vom Hersteller Microsoft ins Gespräch. Wir haben den Ingenieur Erich Fladerer, der bei Unger für Qualitätssicherung und als verantwortliche Schweißaufsicht tätig ist, während des Stahlbautags in Graz nach dem Potenzial des neuen Gerätes gefragt.

metallbau: Was ist für Sie an der AR-Brille beeindruckend?

Erich Fladerer: Ich habe die Brille vor sechs Wochen zum ersten Mal getestet. Am meisten hat mich beeindruckt, dass ich mich im 3D- Modell bewegen kann. Das war mir von 3D-Brillen in der Theorie bekannt, es selbst zu erleben war dann doch etwas ganz Neues. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für den Stahlbau.

metallbau: Können Sie einige dieser neuen Möglichkeiten für den Stahlbau nennen?

Fladerer: Beispielsweise das Visualisieren von Projekten auf der grünen Wiese, die zwar geplant, aber noch nicht gebaut sind. Anschlüsse an andere Gewerke lassen sich virtuell überprüfen, z. B. an den Betonbau. Ferner kann die Brille als Unterstützung beim Zusammenbau von komplexen Bauteilen in der Produktion und auf der Baustelle eingesetzt werden. Treffen im virtuellen Raum erleichtern die Kommunikation während der Planungsphase mit anderen Baubeteiligten wie Statiker, Planer und Architekten.

metallbau: VR-Brillen sind ja bekannt, inwiefern unterscheidet sich die AR-Brille von einer VR-Brille?

Fladerer: Die VR-Brille schließt die reale Welt komplett aus, da die Brille geschlossen ist. Bei der AR-Brille befinden Sie sich in einer Mixed Reality. Das heißt, Sie haben zwei Perspektiven zugleich – virtuelle Welt und reale Welt vermischen sich. Während der Stahlbautage konnten die Besucher sich mit der AR-Brille im 3D-Modell der ÖAMTC-Zentrale bewegen. Im 3D-Modell wird ein grüner Punkt angezeigt. Wird dieser mit Daumen und Zeigefinger gefasst und gepresst, beamt es den Träger der Brille genau an diesen Punkt – beispielsweise zwei Etagen höher. Da ist es praktisch, dass Sie von dem 300 Millimeter breiten Stahlträger in einer Höhe von 25 Metern nicht wirklich herunterfallen können. Virtuell stehen Sie im schlimmsten Fall daneben.

metallbau: Was ist die softwaretechnische Grundlage für diese AR-Brille?

Fladerer: Die Grundlage ist ein 3D-Modell, welches wir mit unserer CAD-Software erstellen. Dieses übergeben wir in eine Cloud und von dort wird das Modell über Wireless LAN in die Brille geladen. Die 3D-Informationen in der Brille können einen Print-Plan sowohl auf der Baustelle als auch in der Produktion ersetzen.

metallbau: Was sind die Vorteile der AR-Brille im Vergleich zum Papierplan?

Fladerer: Ich muss nicht den Plan lesen und dann interpretieren. Wenn ich mit der AR-Brille auf die bisherige Konstruktion schaue, sehe ich, wo die nächsten Montageteile installiert werden müssen. In der Übergangsphase wird es Print- und Digital-Informationen parallel geben, schlussendlich wird es nur noch die virtuelle Welt via Brille geben, der Papierplan ist überflüssig.

metallbau: Überfordert nicht die parallele Sicht auf zwei Welten einen Mitarbeiter?

Fladerer: Die Brille erlaubt zweierlei Perspektiven. Ich kann das Bauteil und die virtuelle Welt komplett überlagern und ich kann parallel auf beide Welten schauen. Das heißt, ich muss nicht zur Seite schauen, wenn ich mein Element mit dem 3D-Modell vergleichen will, sondern schaue auf das reale Bauteil und sehe durch die Brille digital, wie es nach der Montage des jeweiligen Elements ausschauen soll.

metallbau: Ist das für den Mitarbeiter nicht eher verwirrend?

Fladerer: Die Entwicklung eines Knopfes, über den sich die virtuelle Welt ein- und ausschalten lässt, ist meiner Meinung nach unerlässlich. Noch ist die Brille ja in der Entwicklung. Wir sind dabei, die Möglichkeiten zu definieren, wo es mit diesem neuen Gerät hingehen kann. Maßstab sind die Anforderungen bei uns im Stahlbau.

metallbau: Wenn nun ein Monteur in 25 Meter Höhe auf einem Gerüst steht, ist es nicht sogar gefährlich, sich in dieser Situation ständig zwischen der virtuellen und der realen Welt hin und her zu bewegen?

Fladerer: Wir möchten die Brille zum Schutz des Mitarbeiters entwickeln. Bei Absturzkanten kann die Brille beispielsweise Warnsignale geben und einblenden: „bitte keinen weiteren Schritt nach hinten“. Es geht uns um Unterstützung im Sicherheitsthema, im Vordergrund steht natürlich die Arbeit. Infos, welche Schrauben gehören zu dieser Verbindung, welche Elemente werden für diese bauliche Situation verwendet, wo werden diese angebaut, passen diese Verbindungen zu den anderen Gewerken, z.B. zu Fassadenelemente oder Beton?

metallbau: Gibt es Arbeitsschutzuntersuchungen zur AR-Brille, beispielsweise wie das Bewusstsein reagiert, wenn ein Mitarbeiter über mehrere Stunden mit dieser Brille arbeitet, oder gibt es Pausen, die arbeitsschutzrechtlich vorgeschrieben sind?

Fladerer: Im Moment sind mir solche Untersuchungen nicht bekannt. Man wird die Brille aber auch in diese Richtung evaluieren müssen. Da das System noch so neu ist, hat man hierzu noch keine Erfahrungswerte.

metallbau: Wird diese Brille bei Unger schon benutzt?

Fladerer: Zur Zeit noch nicht, wir haben einen Entwicklungsprozess aufgesetzt und loten die Potenziale aus. Dann wird entschieden, ob wir aktiv in die Weiterentwicklung der Brille einsteigen oder am Ende das fertige Produkt kaufen.

metallbau: Wann wird die AR-Brille marktreif sein?

Fladerer: Das wird sehr schnell gehen. Ich würde meinen in drei bis fünf Jahren. Derzeit gibt es die Brille als Development Kit zum Preis von ca. 4.000 Euro.

metallbau: Wer übernimmt aktuell die Verantwortung für den Einsatz der Brille, solange noch einige gesundheitstechnische Evaluierungen seitens des Hersteller ausstehen?

Fladerer: Natürlich ist der Eigentümer in der Verantwortung.

www.ungersteel.com

Treff mit VR-Brille im 3D-Modell


Softwareentwickler Georg Eckmayr (auf dem zweiten Bild) kann aus einem DWG File einer 3D-Konstruktionssoftware den Content für eine VR-Brille erstellen. Damit können sich künftig die Baubeteiligten ortsunabhängig auf einer Baustelle treffen, die zunächst ausschließlich virtuell existiert. Für Unger hat Eckmayr das 3D-Modell der ÖAMTC-Zentrale aufbereitet, auf den Stahlbautagen in Graz haben wir ihn zu dieser Entwicklung befragt.

metallbau: Die AR-Brille gibt es zu einem Preis von 4.000 Euro, die VR-Brille kostet 1.200 Euro. Was macht den Preisunterschied aus?

Georg Eckmayr: Die VR-Brille ist deshalb günstiger, weil sie über keine Recheneinheit verfügt, die Brille stellt nur dar. Um sie zu nutzen, braucht man nur noch einen Computer, an den sie angeschlossen wird.

metallbau: Für welche Anwendungen ist die VR-Brille gedacht?

Eckmayr: Die VR-Brille ist für virtuelle Treffen auf der Baustelle gedacht. Es geht vor allem um eine Vereinfachung der Kommunikation der einzelnen Bausparten. Beim Treffen können Markierungen an den Konstruktionen vorgenommen werden, die dann für alle nachvollziehbar sind und in CAD ausgearbeitet werden können.

metallbau: Was ist softwaretechnisch die Basis für die VR-Brille?

Eckmayr: Wir haben beispielsweise aus der 3D-Konstruktionssoftware bei Unger ein DWG File von der ÖAMTC-Zentrale erhalten, dieses File übernehmen wir so und optimieren es etwas für die Echtzeitdarstellung. Der Nutzer der Brille steht in diesem File.

metallbau: Ist diese Brille bereits im Handel erhältlich?

Eckmayr: Ja, diese Brille ist im Handel erhältlich, um die Entwicklungsumgebung zu bespielen ist noch eine Software (zum Beispiel Unity) nötig, die im Internet gratis zur Verfügung steht. Und dann braucht es natürlich jemanden, der die Brille bedienen und eine Umgebung für den Nutzer erstellen kann.

metallbau: Wie lange ist die Brille bei Ihnen in Entwicklung gewesen?

Eckmayr: Wir beschäftigen uns nun seit etwa einem Jahr mit der Sache. Wenn wir CAD-Daten erhalten, können wir diese nach definierten Abläufen in eine Software bringen, sodass sie in die Brille eingespielt werden kann.

metallbau: Wer hat die Verantwortung dafür, dass die Brille gesundheitstechnisch ungefährlich ist?

Eckmayr: Wenn die Brille den Standards des amerikanischen Marktes genügt, auf dem es schnell zu Klagen kommt, wenn ein Gerät gesundheitstechnischen Anforderungen nicht entspricht, gehe ich davon aus, dass das Gerät auch den Anforderungen in Deutschland genügt.

metallbau: Meiner Ansicht nach ist es sicher nicht empfehlenswert, wenn ein Mitarbeiter länger als eine Stunde die Brille nutzt, wie sehen Sie das?

Eckmayr: Es ist sehr unterschiedlich, wie Menschen auf die Brille reagieren. Ich würde empfehlen, nach einer halben Stunde eine Pause zu machen. Prinzipiell liegt beim Hersteller HTC die Verantwortung, dass die VR-Brille für den Träger nicht gefährlich ist. ⇥ma ◊

www.bildbuero.cc

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