Edelstahl braucht Feingefühl

Erfahrung und Fachwissen gefragt

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„Die meisten Probleme mit Edelstahl entstehen durch falsche Materialauswahl oder unsachgemäße Bearbeitung“, sagt Metallbaumeister Thomas Schmidt, Geschäftsführer der Schmidt Edelstahlverarbeitung in Schleswig, der durch jahrelange Praxiserfahrung und intensive Weiterbildung zu einem Experten in Sachen Edelstahl und Oberflächenfinish geworden ist. Für ihn ist nicht das Material schwierig, sondern die allgemein vorherrschende Meinung, dass Edelstahl an sich praktisch für jede Anwendung geeignet ist. Dabei gibt es über 120 verschiedene Qualitäten, die ganz unterschiedliche Eigenschaften haben und immer nur für spezielle Einsatzzwecke taugen. Auch ist Edelstahl nicht in jedem Fall rostfrei oder nicht rostend. Die verschiedenen Legierungsbestandteile und die Gefügeausbildung beeinflussen wesentlich die Materialeigenschaften. Wer sich wirklich mit diesem Material auskennen will, muss etwas tiefer in die Werkstoffkunde eindringen. Schmidt macht dies seit vielen Jahren und mit Leidenschaft. Er sagt: „Man muss mit dem Material eine Beziehung eingehen, um die guten Eigenschaften zu fördern und die schlechten zu vermeiden. Ich will verstehen, warum sich ein bestimmter Stahl beim Kanten, Schweißen, Schleifen oder Polieren so oder so verhält. Nur dann komme ich gezielt zu den gewünschten Ergebnissen.“ Er hat deswegen viele Weiterbildungen und Kurse besucht, steht im regen Austausch mit Fachhochschulen und der Bundesanstalt für Materialforschung mit Sitz in Berlin. Außerdem ist er öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Metallbau und unterrichtet als Dozent in der Meisterausbildung. Doch das meiste Wissen hat er sich in seiner Werkstatt selbst erarbeitet. „Leider vermitteln viele Kurse nur Basiswissen“, beklagt er.
Erst das richtige Bearbeitungsverfahren garantiert die besten Produkteigenschaften des Edelstahls. Es ist ein großer Unterschied, ob er die Stahlsorte 1.4571 oder 1.4301 verwendet und verarbeitet, weiß Schmidt. Mit Molybdän legierte Stähle sind korrosionsbeständiger und eignen sich beispielsweise für Seewassereinsätze. Hitzebeständige Stähle wie die Sorte 1.4828 zeichnen sich durch gute Zunderbeständigkeit zwischen 500 und 1.150 ° C aus. Die Stahlsorte 1.4301, auch V2A genannt, ist der am häufigsten eingesetzte Chrom-Nickel-Stahl. Dieser lässt sich besonders gut verformen und polieren, ist gegen Wasser, Wasserdampf und Speisesäuren beständig und wird daher vorzugsweise in Produktionsanlagen der Pharma-, Lebensmittel-, Medizin- und Nahrungsmittelindustrie verwendet. Ungeeignet ist er hingegen für Anwendungen in Schwimmbädern und in Seewasser. Stähle aus Edelstahl Rostfrei eignen sich auch für Tiefsttemperatur-Anwendungen.

Hochglanzpolierte ­Oberflächen widerstehen der Korrosion

Edelstahloberflächen sollen in der Regel hohen optischen Ansprüchen genügen und gleichzeitig gegen Korrosion beständig sein. Das sind wesentliche Gründe, weshalb sie sorgfältig geschliffen und poliert werden. Je feiner eine Oberfläche poliert ist, desto geringer ist die Rauheit und umso weniger bietet sie eine Angriffsfläche für korrosive Medien. Deshalb polieren u.a. Anlagenbauer in der Lebensmittelindustrie die Innenwände von Behältern auf Hochglanz.
Liest man dagegen die Pflegeanleitungen von hochwertigen Gebrauchsgütern aus Edelstahl, so empfehlen diese fast immer spezielle Mittel, die „einen dauerhaften Schutzfilm erzeugen und dadurch Oxidation und Korrosion verhindern. Gepflegte Flächen sind für Monate geschützt und konserviert. Wirkt antistatisch, staub- und schmutzabweisend.“ Im Klartext bedeutet das: Der Käufer hat zwar ein erlesenes Produkt erworben, wird aber daran nur durch intensive Spezialpflege lange Freude haben. Dem widerspricht Schmidt vehement. Er ist kein Freund von Pflegemitteln, findet sie unnötig und sagt: „Das Material selbst braucht man nicht zu schützen.“ Der Grund ist die Bildung einer Passivschicht an der Edelstahloberfläche. Sie entsteht nach der Materialbearbeitung von selbst, wenn Chrom eine Verbindung mit der Luftfeuchte und Sauerstoff eingeht. Die vollständige Ausbildung der Passivschicht dauert nach Schmidts Erfahrung ein bis zwei Tage. Schutzaufträge durch Pflegemittel findet er kontraproduktiv. „Wenn man eine fein polierte Oberfläche zum Beispiel mit einem Pflegeöl oder einer Pflegeemulsion abreibt, kommt kein Sauerstoff mehr hin, und die Passivschicht kann sich nicht ausbilden. Erfahrungsgemäß setzt sich dann sogar vermehrt Schmutz ab und klebt regelrecht an. Dieser Schmutz kann wiederum Schäden verursachen.“ Um fertig bearbeitete Edelstahloberflächen von Fettresten oder Fingerabdrücken zu säubern, wäscht Schmidt sie mit einem Reiniger ab und nutzt dazu Produkte der Firma Weldotec. Spiegelpolierte Oberflächen lassen sich mit chloridfreiem Glasreiniger und einem weichen Lappen gut reinigen. Geschliffene Bleche sollten immer in Schliffrichtung gereinigt werden. Hier reicht in den meisten Fällen eine Spülmittellösung aus. Auf keinen Fall sollten chloridhaltige oder salzsäurehaltige Reiniger, Bleichmittel und Silberreinigungsmittel verwendet werden. Vor Kratzern schützt Schmidt die Oberflächen durch Abkleben mit Schutzfolien oder Einpacken in Schaumstofffolien. „Wenn ein Kunde darauf besteht, bekommt er selbstverständlich eine Anleitung und ein Reinigungs- und Pflegemittel mit“, sagt er.

Edelstahlsorte nach dem Einsatz wählen

Besondere Anforderungen gelten im Lebensmittel- und Pharma-bereich, wo bestimmte Substanzen nicht eingesetzt werden dürfen. Wer hier z.B. Küchengeräte von unschönen Gebrauchsflecken befreien will, dem empfiehlt Schmidt das bewährte Hausmittel Wiener Kalk. Es besteht aus 25 % Kaolinit und 75 % feinstdispersem Quarz, arbeitet feinstpolierend und ist ungiftig. Es wird mit einem feuchten Tuch aufgetragen und lediglich mit einem trockenen, weichen Tuch nachpoliert – fertig.
Auch bei Themen wie Schutz vor Flugrost oder Streusalz schüttelt Schmidt den Kopf. „Es gibt dafür weder ein geeignetes Reinigungs- noch ein dauerhaftes Schutzmittel.“ Er nennt ein Beispiel: Wenn ein Zaun aus Edelstahl an einer Straße mit Streusalzeintrag oder starkem Bremsscheibenabrieb steht und entsprechende Schäden bekommt, dann ist hier eventuell das falsche Material eingesetzt worden, oder es sollte an den speziellen Stellen eine intervallmäßige Reinigung stattfinden. Der einzige Schutz ist Lackieren, aber dann könnte man gleich preiswerteren, pulverbeschichteten Stahl verwenden. Doch auch eine Lackierung kann den Streusalzen nur schlecht Widerstand leisten und müsste ebenso gereinigt werden.

Wichtig: Drehzahlgeregelte Maschinen

Schmidt arbeitet in der Regel im Highend-Bereich, das heißt seine Endkunden sind überwiegend Industriekunden mit Spezialprodukten oder Luxusjachtbesitzer und haben höchste Ansprüche. Da ist es klar, dass auch jedes Scharnier oder sogar die Ankerkette von Hand hochglanzpoliert wird. Teilweise fertigt er die Einzelstücke selbst an, teilweise übernimmt er nur noch die Schleif- und Polierarbeiten. Geschliffen wird von Körnung 600 bis Körnung 2.000. Dann wird in mindestens je zwei Vorpolier- und Abglänz-Arbeitsgängen das Material weiterverarbeitet.
In seiner Werkstatt verfügt Schmidt über einen gut sortierten Maschinenpark. Dazu gehören verschiedene WIG-Schweißgeräte, Handmaschinen wie Winkelschleifer, Bandfeile, Biegsame Wellen, Trennscheiben und Rohrausklinker sowie diverse Polierwerkzeuge. Die Handmaschinen sind drehzahlgeregelt, weil bestimmte Edelstähle keine hohen Bearbeitungstemperaturen verkraften. „Sobald ich etwas zu heiß poliere, kann es passieren, dass die Oberfläche wie eine Orangenhaut aussieht. Dann kann ich von vorne anfangen und alle Arbeitsgänge wiederholen“, berichtet er aus Erfahrung. Er weiß, dass Edelstahl sehr heikel reagieren kann und dementsprechend sorgfältig behandelt werden muss.

Unerlässlich ist der Lochtisch, auf den er die Teile dreidimensional spannen kann, weil sich Edelstahl Rostfrei beim Schweißen eineinhalbmal stärker verzieht als Stahl. Für das Schleifen und Polieren von größeren Flächen hat er sich einen Langbandschleifer angeschafft und erzielt damit äußerst gleichmäßige Schliffbilder. Als Grundausstattung für die Edelstahlbearbeitung empfiehlt Schmidt neben dem Schweißgerät eine Bandfeile, einen Rohrbandschleifer und einen Kehlnahtschleifer. Er selbst schwört auf Produkte des Schweizer Herstellers Suhner. Als Vorzug nennt er deren modulare Bauweise. Die verschiedenen Energiequellen bieten einen größtmöglichen Anwendungsradius als Elektrowerkzeug, Druckluftmaschine oder Maschinen mit Biegsamer Welle. Auch die Handlichkeit der Suhner Werkzeuge lobt er, denn der Motor ist klein und leicht. Das nötige Leistungsspektrum wird über Getriebe gelöst.

Edelstahl verzeiht keine Fehler

Andreas Berg, Geschäftsführer von Andreas Berg Stahl- und Maschinenbau, ist Praktiker genug um zu wissen: Edelstahl verzeiht keine Fehler. Sein Unternehmen mit 22 Mitarbeitern ist in den vergangenen Jahren vor allem im Bereich Edelstahlbearbeitung jährlich im Schnitt um fünf Prozent gewachsen. Eine besondere Stärke ist die große Fertigungstiefe: Geliefert wird in die unterschiedlichsten Branchen, um möglichst breit und relativ krisenfest aufgestellt zu sein, wie er sagt. Es können Bauteile bis zu 10 Tonnen mit bis zu 8 Metern Breite bearbeitet werden.
„Der Markt an individuellen Produkten oder Kleinserien wächst, während Großserien weiter zurückgehen“, stellt Berg fest und verweist auf den dafür notwendigen, umfangreichen und modernen Maschinenpark. Da das Unternehmen zugleich Stahl und Edelstahl verarbeitet, ist der Maschinenpark für beide Bereiche ziemlich redundant vorhanden, jedoch separiert in unterschiedlichen Werkhallen. Die Maschinen zur Ver- und Bearbeitung von Edelstahl sind allerdings durchschnittlich teurer als für Stahl, weil die Werkzeuge andere Grundhärten haben müssen. Neben einer Plasmaschneidanlage, mehreren CNC-Fräs- und CNC-Drehmaschinen gehören Sägen, Schweißroboter und jede Menge Handmaschinen dazu. Einen bestimmten Hersteller bevorzugt Berg bei den Handgeräten nicht. „Sie sind unterdessen alle etwa gleich gut. Jeder hat Stärken und seine Nische.“ Trotzdem nennt er für den Bereich Edelstahl einige beim Namen: Von der Marke Flex sind Satiniermaschinen im Einsatz, von Hilti die Biegsame Welle, von Bosch ein ganzes Grundsortiment. Bei der Trennscheibe setzt das Unternehmen auf Pferd.
Seit Kurzem bereichern eine 12-achsige Abkantpresse ToolCell von LVD sowie eine 5-achsige Fräsmaschine die Fertigung. Notwendig war die Anschaffung, weil große Edelstahlbleche nun abdruckfrei und hochgenau gekantet werden können. „Das erleichtert uns die spätere Oberflächenbearbeitung enorm, denn Werkzeugabdrücke gibt es jetzt nicht mehr“, erläutert Berg. Außerdem verbessert die Maschine die automatisierte Fertigung, die bei Berg Stahl- und Maschinenbau mit der werkseigenen CAD-Konstruktion beginnt. „Jedes Teil muss ein Gutteil sein“, sagt Berg. Muster und Probestücke will man sich bei den hohen Material- und Personalkosten nicht erlauben. Besonders wichtig sind darum auch motivierte und qualifizierte Mitarbeiter. „An einer guten Maschine muss ein gut ausgebildeter Fachmann arbeiten.“

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