Experten sprechen mit Schülern

Funktionsglas und Abdichtungstechnik

Die jüngste Folge der Veranstaltungsreihe „Expertengespräche“ hat sich den Themen Funktionsglas und Abdichtungstechnik gewidmet. Den Berufsschülern der gewerblich-technischen Berufsschule in Neuwied standen Experten von Flachglas MarkenKreis und tremco illbruck Rede und Antwort. Der Fachlehrer für Metallbau OStR Michael Höhler hatte die Unternehmen auf dem metallbau Fachforum für sein Unterrichtsprojekt gewinnen können.

Den Schülern der Fachklasse für Metallbauer, die sich im dritten Ausbildungsjahr befinden, sind aus dem Lernfeld 11 a „Herstellen von Fenstern, Fassaden und Glasanbauten“ (Kultusministerkonferenz 2002) bauphysikalische Inhalte wie die Wärme- und Schalldämmung, Aspekte des Sonnenschutzes sowie der Feuchteschutz bekannt. Erfahrungsgemäß fördert es die Motivation der Nachwuchskräfte, wenn im beruflichen Unterricht ein fachlicher Austausch mit externen Fachleuten ermöglicht wird.

Gemeinsam mit Ralf Difour vom Unternehmensverbund Flachglas MarkenKreis und Stephan Ebrecht vom Abdichtungsspezialisten tremco illbruck wurde für das Expertengespräch „Faszination Glas-Über die Vielseitigkeit von Glas in der Gebäudehülle“ folgende Lernsituation konstruiert:

Mehrere Einfamilienhäuser einer städtischen Siedlungsgesellschaft sollen energetisch saniert werden. Im Zuge der Baumaßnahme werden die Fenster erneuert. Parallel dazu steht als weiteres Bauobjekt ein Mehrfamilienhaus als Neubau an. Bei dem Sanierungsbauvorhaben und beim Neubau werden sowohl Brüstungsfenster als auch bodentiefe Fensterelemente gewünscht. Für die Glasauswahl und die späteren Montagearbeiten ist Beratung erforderlich. Sie haben als neues Teammitglied im Vertrieb eines überregional agierenden Metallbaubetriebes den Anspruch, vor ihren Kollegen mit guten fachlichen Beiträgen aufzutreten. Machen Sie sich fit, indem Sie folgende Aufgaben bearbeiten! Auszugsweise lauten diese:

Geben Sie die wesentlichen Bestandteile von Floatglas (Basisglas) an.

Erläutern Sie die Herstellung von ESG aus Floatglas.

Wie stellt sich die mechanische Belastbarkeit (Zug und Druck) von ESG dar?

Welche Festigkeitsunterschiede weist TVG gegenüber ESG auf?

Benennen Sie drei Erkennungsmerkmale von ESG.

Erklären Sie den Aufbau von VSG.

Bei welchen Bauelementen in der Gebäudehülle wird VSG eingesetzt?

Difour, der bei Flachglas MarkenKreis als Objektberater arbeitet, erläuterte der Lerngruppe mithilfe eines Films die Herstellung von Floatglas, die unterschiedlichen Beschichtungsverfahren und die Herstellung von ESG sowie VSG. Weiterhin ging es im Lernjob um die Differenzierung nach der Herstellung und Wärmebehandlung der Glasprodukte Floatglas, ESG und TVG. Mit handhabbaren Glasmustern, die sich die Schüler zum besseren Verständnis anschauen konnten, wurden sie mit in den Vermittlungsprozess eingebunden.

Schüler Manuel Jandausch wollte wissen, wie Bohrungen im Werkstoff Glas gefertigt werden. Ein wichtiges Kennzeichen von Floatglas ist die geringe Temperaturdifferenz, die das Glas aufnehmen kann, erklärte Difour und benannte 40 Kelvin als Richtwert, der nicht überschritten werden darf, um Glasbruch zu vermeiden. Für die mechanische Bearbeitung von VSG, das aus TVG bestehen kann, ist daher immer Wasserkühlung nötig. Nacharbeiten auf der Baustelle sind zu vermeiden.

Im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit erklärte Difour die mechanischen Eigenschaften des wärmebehandelten ESG und wies auf dessen Einsatzbereiche hin. Die Verwendung von ESG als Fassadenplatten erfordert allerdings zuvor eine Prüfung durch den Heißlagerungstest (heat soak test), um sogenannte Spontanbrüche weitestgehend auszuschließen. Fachmann Difour stieß mit seiner Erläuterung auf großes Interesse bei den Lernern, als er auf die im Glasgefüge befindlichen Unregelmäßigkeiten einging. „Wenn sich ab einer bestimmten Größe NiS-Einschlüsse im Glasinneren (Zugzone) des ESG befinden, können sie durch ihr Ausdehnungsverhalten bei der sogenannten Phasenumwandlung infolge der Temperaturunterschiede Risse in der Zugzone des ESG hervorrufen.  Diese stören das Zug-Druck-Gleichgewicht, und es kann der Bruch folgen.“ Insbesondere bei Fassadenplatten (Glasfassaden) ist zu berücksichtigen, dass die Phasenumwandlung bei höheren Temperaturen schneller abläuft. Nachdem das Glas den oben benannten Test bestanden hat, ist ein späterer Spontanbruch durch Nickelsulfid-Einschluss im ESG weitestgehend ausgeschlossen. Die Bezeichnung muss dann ESG-H (ESG-HST) lauten.

Das auch in Form von VSG verbaute TVG war ebenfalls Thema. Der Vorteil von TVG ist die höhere charakteristische Biegezugfestigkeit von etwa 70 N/mm² im Vergleich zu Float, das ca. 45 N/mm² aufweist, wie Difour erklärte. Da TVG noch kein geregeltes Bauprodukt ist, ist es im Baubereich nur mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung (AbZ) verwendbar. Wegen der scharfkantigen Bruchstruktur als Monoglas ist es kein Sicherheitsglas. Verarbeitet wird es als VSG, um dann wegen der besseren Sicherheitseigenschaften und des höheren Resttragverhaltens bei Vordächern eingesetzt zu werden. Andreas Adamas, ebenfalls Schüler der Fachklasse, fügte an, dass TVG in seinem Ausbildungsbetrieb auch als Geländerausfachung eingebaut wird. Im Gegensatz zu Fassadenglas ist bei Geländern auch mit Stoßbelastung zu rechnen, wodurch ein höheres Tragverhalten erforderlich ist.

Des Weiteren ging es um die Bandmaße der produzierten Gläser. Die fixe Bandbreite der Glashersteller des Flachglas MarkenKreis beträgt 3,21 m und das ist auch für Ausschreibungen zu beachten. Difour berichtet, dass ein Architekt für ein Treppenhaus dennoch ein 3,50 m breites Glas geplant hätte. „Das gibt im Nachhinein Ärger, wenn dies in einer 600-seitigen Ausschreibung nicht direkt entdeckt wird und erst nach dem darauf ausgerichteten Baufortschritt festgestellt werden muss, dass die Maße nicht eingehalten werden können. Daraus folgt, dass das Treppenhaus baulich anders gestaltet werden muss.“ Es kann problematisch und teuer werden, so Difour weiter, wenn Ausschreibungen fehlerhafte Angaben enthalten.

Da im vorangegangenen Unterricht bauphysikalische Grundlagen erarbeitet wurden, konnten die Schüler im Dialog mit dem Fachmann ihre Kenntnisse festigen. Sind die Glasscheiben mit einer Wärmeschutzbeschichtung (Low-E-Beschichtung) versehen, verringert diese den austretenden Teil der Wärmestrahlung beträchtlich. Insbesondere die Auszubildenden mit Schwerpunkt Fenster- und Wintergartenbau konnten zu diesem Thema ihr Fachwissen einbringen. So erklärt Alexander Kalt, dass bei Wintergärten neben dem verbauten Sonnenschutzglas zusätzlich eine Verschattung sowie eine Lüftungsanlage den Raum auch im Sommer gut bewohnbar macht und daher unverzichtbar ist. Hilfestellung für die richtige Auswahl von Funktionsgläsern kann die Software „GlasPlan“ des Fachglas MarkenKreis leisten. Das Programm gibt nach Eingabe einiger technischer Parameter das optimale Glas für den jeweiligen Einsatz an. Mit Berücksichtigung vieler Einflussfaktoren wird die Planungs- und Beratungsleistung erleichtert.

Abdichten der Bauanschlussfuge

Für den zweiten Teil des Expertengesprächs stand Stephan Ebrecht, bei tremco illbruck Key Account Manager, vor der Klasse. Im Fokus standen normative und bauphysikalische Anforderungen an die Bauanschlussfuge, wie beispielsweise Luftdichtigkeit oder das Bewahren eines schimmelresistenten Klimas für angeschlossene Bauteile. Erläuterungen zu unterschiedlichen Abdichtungsstoffen  gewährten den Schülern Einblicke in die fachgerechte Anwendung von Folien und Bändern.

Der Lernjob, der auf dieses Thema abgestimmt war, sollte folgende Kompetenzen fördern:

Anforderungen an die Bauteilanschlussfuge in der Gebäude-hülle gemäß EnEV 2014 und nach dem „Leitfaden zur Planung und Ausführung der Montage von Fenstern … für Neubau- und Renovierung“ angeben.

Fachbegriffe dem Diffusionsverhalten zuordnen.

Mögliche Dichtsysteme für unterschiedliche Bausituationen zuordnen.

Vorwandmontage-System planen.

Fehlerursachen, Bauschäden sowie Kennzeichen heutiger Abdichtungsarbeit unterschiedlichen Bausituationen zuordnen.

Verarbeitungstechnische und bauphysikalische Kennzeichen der feuchtevariablen Fenster- und Fassadenfolie angeben.

Eigenschaften und Einsatzgebiete vorkomprimierter Fugendichtungsbänder und Multifunktionsbänder benennen.

Anforderungen an die Abdichtung bodengebundener Fenster / Haustüren nach der DIN 18195.

Nach dem Hinweis auf den zu bearbeitenden Lernjob benannte Ebrecht zunächst wesentliche Änderungen für die Baugewerke infolge der EnEV 2014. Dabei hob er einige der besonderen Anforderungen an die Gebäudehülle/ Bauanschlussfuge hervor:

Luftdichtheit und Dampfdiffusion

Schlagregenschutz

Wärmedämmung sowie Vermeidung von Wärmebrücken, Schimmelbildung und Tauwasserbildung

Ziele sind die Vermeidung von Bauschäden und Energieeinsparung. Weiterhin betonte Ebrecht, dass laut EnEV 2014, § 6 (1) Dichtheit, Mindestluftwechsel „… zu errichtende Gebäude so auszuführen (sind), dass die wärmeübertragende Umfassungsfläche einschließlich der Fugen dauerhaft luftundurchlässig … abgedichtet“ wird. § 7 (2) Mindestwärmeschutz, Wärmebrücken fordert: „Zu errichtende Gebäude sind so auszuführen, dass der Einfluss konstruktiver Wärmebrücken auf den Jahres-Heizwärmebedarf … so gering wie möglich gehalten wird.“

Klare Angaben also, nach denen sich der Metallbauer richten muss, betonte der Fachmann. Es folgten Erläuterungen zum Dampfdiffusionsverhalten von Dichtstoffen, die das Wissen des vorangegangenen Unterrichts vertieften, in dem beispielsweise Wärmedurchgangsberechnungen angestellt oder der sd-Wert und dessen Aussage für die Schimmelbildung erarbeitet wurden.

„Du magst Fehler machen, aber keine planen“ – unter diesem Motto begann Stephan Ebrecht die Reihe „Handwerkliche Bastellösungen“. Es wurden einprägsam Fehlanwendungen bei Bauelementen, mangelhafte Anschlüsse oder mangelhafte Abdichtungen der Anschlussfugen gezeigt. Im Expertengespräch stieg sichtlich die Motivation der Nachwuchskräfte, fehlerfreie Facharbeit auf der Baustelle auszuführen. Eine Fensterabdichtung in der Fensterlaibung nahm Ebrecht zum Anlass, die Wirkung des Montageschaums als Befestigungs- und Dichtstoff kritisch zu reflektieren: „Schäumen ergibt vordergründig zwar eine gewisse Dichtigkeit. Aber mit dieser Methode wird gegen den Grundsatz verstoßen “innen dichter als außen„. Daher ist eine diffusionsoffene Folie von außen an den Rahmen anzubringen, wie er den Schülern erklärte. Auf die Frage aus der Klasse, wie dies denn mit der Schlagregendichtigkeit zu vereinbaren ist, antwortete Patrick Fausten, dass es ausschließlich um Diffusionsoffenheit der Folie geht, die das Entweichen von Tauwasser ermöglicht. „Regenwasser kann nicht durch diese Folie nach innen gelangen“ stimmte der Experte zu. ⇥red ◊

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