„Sich öffnende Hand“ auf Stahlkonstruktion

Heliport am Klinikum Aachen

Bislang wurden am Klinikum Aachen eingeflogene Notfallpatienten aus dem Hubschrauber in einen Krankenwagen umgebettet und mit diesem 200 Meter bis zur Notaufnahme im Untergeschoss gefahren. Das kostete zu viel lebensrettende Zeit. Die neue, direkt über dem Haupteingang „schwebende“ Landeplattform verkürzt diesen Weg auf 46 Sekunden.

Ein Landeplatz auf dem Dach des Klinikums war vollkommen ausgeschlossen. Die Grundrisse eines der größten Krankenhäuser Europas ließen das nicht zu. Zudem steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Es gilt zusammen mit dem Centre Pompidou in Paris als wichtiger Vertreter der „technischen Moderne“ und seine markante Silhouette ist zwingend zu erhalten.

In Konsequenz wurde für den Heliport ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Es ging um ein separates Landebauwerk für Hubschrauber in unmittelbarer Nähe zum Haupteingang, um die Notaufnahme darunter schneller zu erreichen.

Die Infrastruktur rund um das Klinikum stellte das Projekt vor einige Herausforderungen, denn die bisherigen Nutzungen des Bereiches – beispielsweise Patienten-/Besucherzugang, Feuerwehrzufahrt und Bushaltestelle – sollten weiterhin sichergestellt bleiben. Zudem galt es, die luftfahrtrechtlichen Bestimmungen wie Sicherheitsabstände zu Gebäude und Passanten sowie zulässige Rotorenwinde zu erfüllen.

Den Wettbewerb um den Entwurf entschieden Anna-Marie und Marcin Oraviec vom Aachener Architekturbüro OX2 mit dem Konzept einer „sich öffnenden, flachen Hand“ für sich. Die Preisjury ließ sich von dem Gedanken überzeugen, dass der Hubschrauberlandeplatz bildhaft wirken müsste, damit dieser zu dem skulptural erscheinenden Klinikum passt. Zwecks schneller und barrierefreier Überwindung des Höhenunterschiedes von zwölf Metern schlugen sie einen Schrägaufzug vor.

Konstruktive Anforderungen. Für die Entwicklung eines statischen Konzeptes wie für die konstruktive Umsetzung war die Aachener Planungsgesellschaft Draheim Ingenieure verantwortlich. Vorgabe war, dass die Plattform einem 12 Tonnen schweren Hubschrauber der Kategorie K3 (alter Armeerettungshubschrauber) Platz zur Landung bieten muss, während gleichzeitig ein leichterer, nur sechs Tonnen schwerer Helikopter der Kategorie K2 (z.B. ADAC-Hubschrauber) darauf parkt. Zugleich galt es, den Brandschutz sicherzustellen und das Tragverhalten in Simulationen zu prüfen: Beispielsweise wenn ein Bus direkt unter der Plattform brennt oder wenn gar ein Hubschrauber auf die Plattform abstürzt und dann Feuer fängt. Darüber hinaus liegt Aachen in der Erdbebenzone 3, der höchsten in Deutschland, und natürlich war das Landebauwerk auch dagegen zu sichern. Schließlich gab es sehr enge Fristen, das Bauwerk sollte in nur 14 Monaten fertiggestellt sein. Das Ingenieurbüro rechnete mehrere Bauvarianten durch und schlug dann die nunmehr realisierte Version aus Stahlplattform und Unterkonstruktion sowie einer Betonhalbröhre für den Schrägaufzug in die Notfallaufnahme vor.

Schrittweiser Bau in Superposition. Der überaus expressive Entwurf des Landeplatzes erschwerte einen langsam wachsenden und dabei in sich stabilen Aufbau. Der Bau ist so ausgelegt und gerechnet, dass er sich erst mit Vollendung seiner gesamten Rohbaukonstruktion selbst trägt. Im Grunde müssen die den Aufzug beinhaltende Schräge, die Plattform und die v-förmigen Stützen, die die Plattform tragen, zusammen als biegesteifer Rahmen betrachtet werden. Verkompliziert wird das statische Gefüge durch die Konstruktion, dass die Landeplattform um 37 Meter über die rechnerische Vertikalachse des Stützenpaares auskragt. Bildlich gesprochen heißt dies, die stählerne Plattform für sich genommen fällt schon im unbelasteten Zustand nur deshalb nicht zur Straße hin um, weil diese von der geneigten Erschließungsröhre (Aufzug) gehalten wird. Dort ist sie biegesteif mit Baustellenschweißnähten an eine 40 x 400 Millimeter messende Zuglasche angeschweißt. Diese wiederumist in deren trogartige, aus Betonfertigteilen bestehende Unterhälfte eingelassen.

Für die Bauzeit errechneten die Statiker 15 Superpositionszustände, also konstruktive Überhöhungen, die sich erst mit dem Einbringen von weiteren, planmäßigen Auflasten zu ihrer vorgesehenen, endgültigen Position „durchgebogen“ haben. Es wurde also mit drei Hilfsgerüsten gearbeitet, zwei unterstützten seitlich die Plattform, eine diente zur Unterstützung der Betonkonstruktion. Mit dem Stoßen von Plattform und Schräge waren zwar die äußeren beiden Stützgerüste überflüssig, bedingt durch die enorme Auflast des Betontroges entstand jedoch auf der anderen Seite der T-förmigen Plattformkonstruktion eine beachtliche, nach oben gerichtete Zugkraft. Letzterer wurde durch im Boden gesicherte Abspannseile entgegengewirkt. Erst mit dem erwähnten Verschweißen von Plattform und Schräge wurde eine statisch stabile Situation geschaffen, die es zuließ, sowohl das letzte Gerüst unmittelbar darunter zu entfernen als auch die sichernden Stahlseile.

Stahlbau. Alles, was in der Schlosserei geschweißt und vorbereitet werden konnte, wurde dort gemacht. Bis auf den zentralen Zuglaschenanschluss wurde vor Ort nur noch geschraubt.  Generalunternehmer des Projektes war stahl + verbundbau aus Dreieich. Das Unternehmen unterstützte die Planer bei der baulichen Umsetzung mit konstruktions- und kostenoptimierenden Impulsen. Die stählerne Landeplattform baut sich aus zwei v-förmig zueinander orientierten, mannshohen Kastenträgern auf, zwischen denen und über die hinaus 22 Fachwerkträger quer gespannt sind. Während die mittleren Segmente als Einfeldträger eingestuft und berechnet werden konnten, waren die äußeren Träger als Kragarme einzustufen. Als statisch günstig empfahl sich das horizontale V in der Anordnung der beiden Hauptträger: So entstand kein statisch instabiles Trägergitter, vielmehr steift sich die Plattformkonstruktion selber aus. Die beiden Hauptträger wurden als Gangfachwerke ausgelegt, dabei wird der westliche als Medienkanal genutzt, der östliche dagegen als zweiter Fluchtweg. Während die Gangfachwerke aus HEM300-Gurten der Güte S355 bestehen, wurden die quer liegenden Nebenfachwerke aus HEA260-Gurten der Güte S235 angeordnet. Die darauf aufliegende Plattformfläche erstellten die Metallbauer aus Verbundblechen des Typs Super Holorib (51/150), auf die sie nach Montage eine insgesamt 21 Zentimeter starke, natürlich bewehrte, aber dehnungsfugenfreie Aufbetonschicht aufbrachten. Verbaut wurden ca. 325 Tonnen Profilstahl, das Eigengewicht der eigentlichen Plattform beträgt mit 630 Tonnen fast das Doppelte.

Einhüllung. Die Einhüllung des Heliports, insbesondere die schuppenartige Verkleidung der geneigten Zugangsröhre, führte Radabau aus Erzhausen bei Darmstadt aus. Sie besteht aus 240 im Siebdruckverfahren bedruckten Alucobondtafeln, die in vier verschiedenen Grüntönen schimmern und die unter Berücksichtigung der zu erzielenden Farbstreifenwirkung fachgerecht montiert werden mussten. Da aus Brandschutzgründen ausschließlich Elemente der Baustoffklasse A gefordert waren, verbauten die Monteure vier Millimeter starke Elemente. Besonders anspruchsvoll war für die Handwerker bereits der Unterbau der Außenschale, denn diese bildete die wasserführende Schicht der Fassadenkonstruktion: In geschuppter Form ausgeführt, weist diese offene, vertikale Fugen auf. Um ein seitliches Abtropfen des Regenwassers zu vermeiden, erfolgt die Ableitung in einer am Übergang zur Betonkonstruktion installierten Rinne.

Konstruktiver Brandschutz. Bedingt durch seine 12 Meter hohe, freistehende Lage und die 21 Zentimeter starke Aufbetonschicht der Plattform konnte die Standsicherheit des Heliports im Brandfalle problemlos nachgewiesen werden. Die innovative Planung des zweiten Fluchtweges soll noch kurz ausgeführt werden: Ein Tunnel, der direkt von der Landeplattform über eine horizontale Einstiegsluke zugänglich ist. Fängt ein Hubschrauber im Fall der Fälle Feuer und versperrt den regulären Weg, können Personen unter der Landeplattform hinweg durch das östliche Gangfachwerk flüchten. Man gelangt dann zwar ebenfalls zu dem röhrenartigen Zugangsbauwerk, jedoch an dessen östlicher Seite, wo ein zweiter Treppenlauf nach unten führt. Dieser Abgang ist von der deutlich größeren Westseite der geneigten Röhre, in der sich eine weitere seitliche Treppe sowie der zentrale Schrägaufzug befinden, baulich vollständig getrennt. Selbst eine feuerfeste Verbindungstür findet sich nicht in dieser von oben nach unten durchgehenden, über 40 Meter langen F90-Wand.

Fazit. Zweifellos hat der neue Hubschrauberplatz die Chancen auf Lebensrettung am Klinikum Aachen verbessert. Allerdings muss auch festgestellt werden: Die Verwendung von Stahl hat die Konstruktion nicht unerheblich vereinfacht. Zudem wäre bei einer Betonkonstruktion beispielsweise die bemerkenswert smarte Integration des Fluchtweges in ein statisch ohnehin erforderliches Gangfachwerk kaum möglich gewesen.

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