Veranstaltungsbericht

Fassade 23

Von der Horizontalen in die Vertikale

Mit einem „grünen Pelz“ werden hässliche Parkhäuser zu echten Hinguckern. Andere Gebäude tendieren neuerdings dazu, ihre nützliche Fassade zu kaschieren. Außergewöhnliche Referenzprojekte und die Bestrebungen, Fassaden „grüner“ zu machen, standen im Mittelpunkt der Tagung „Fassade 23“ der Hochschule Augsburg.

Strom erzeugen und mit dazu beitragen, Gebäude klimaneutral zu machen; Hitzeinseln in den Innenstädten entgegenwirken und die Raumluft in Gebäuden verbessern – all diese Vorteile von Photovoltaikanlagen und Fassadenbegrünungen sind unbestritten und nahmen aus diesem Grund auch wenig Redeanteil ein. Das ließ den Vortragenden genügend Raum, um einige herausragende Beispiele für gelungene Integration des „Grüns“ in die Fassade vorzustellen und dabei ins Detail zu gehen. Was die Zuhörerinnen mitnehmen konnten: Ein Trend geht dahin, Solarzellen unsichtbar zu machen, um den Architekten bei der Gestaltung möglichst große Freiheiten zu bieten. Der andere Trend macht „Betonbunker“ zu wahren Hinguckern. Von Weitem soll allen signalisiert werden: „Seht her, mit unserer Fassade setzen wir ein Zeichen für den Umweltschutz und für mehr Nachhaltigkeit.“ Etwa 230 Teilnehmende kamen in die Handwerkskammer für Schwaben nach Augsburg, um den Vorträgen über Fassadenbegrünung und den neuesten Entwicklungen rund um BIPV, der gebäudeintegrierten Photovoltaik, zu lauschen.

Unsichtbare & bunte Solarzellen

Für internationales Flair sorgte Mads Madrup Hansen vom dänischen Architekturbüro CF Møller Architects gleich zu Anfang mit seinem Vortrag über die Integration von Photovoltaik-Modulen in ein außergewöhnliches Gebäude: die Copenhagen International School. Spektakulär ist schon allein der Ort: die Schule wurde mitten in einem Containerterminal errichtet. Hansen bescheinigte den Bauherren den Mut, als „First Mover“ zu agieren, und auch die Kinder fühlten sich sehr wohl in dieser einzigartigen Umgebung. Das mit vielen Awards ausgezeichnete Gebäude erzeugt 40 bis 50 % seines eigenen Gesamtenergieverbrauchs. Die grün und blau schimmernden PV-Paneele wurden gewählt, um eine Beziehung zu den Wellen und dem umgebenden Wasser herzustellen. Die 70 x 70 cm großen Solarmodule können von einem Kran aus gereinigt werden. Hansen betont: „Sie sind nicht für die Ewigkeit gebaut und lassen sich leicht durch ein besseres Produkt ersetzen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.“

Prof. Dr. Thomas Stark von der HTWG Konstanz nahm die Zuhörer anschließend mit auf eine Zeitreise durch die Photovoltaik-Entwicklung. Obwohl die Technologie schon 30 Jahre alt ist, stehe man bei vielen Fragen noch am Anfang und die Integration der PV-Module in die Fassade habe noch vielerorts „Pilotprojekt-Charakter“. In der Vergangenheit lehnten viele Architekten den Einsatz ab, weil sie als unattraktiv wahrgenommen werden. Das ändert sich nun mit der Tatsache, dass Solarzellen zunehmend unsichtbar werden. Neben dem Angebot an seriengefertigten Massenprodukten mit fixen Maßen gäbe es immer mehr Manufakturen, die spezielle Module fertigen, die alle gestalterischen Wünsche der Architekten erfüllen könnten.

Größtmögliche Gestaltungsfreiheit

Experimentiert wird heutzutage mit Beschichtungstechnologien, es werden Folien verarbeitet oder die Oberflächen mit Digitaldruck bedruckt, ohne den Wirkungsgrad zu beeinträchtigen. Mit den neuen Entwicklungen stehe eine Vielfalt an Gestaltungsoptionen zur Verfügung: Solarzellen können transparent sein oder sie ahmen Naturstein, Beton und Holzoberflächen nach. Die Planer müssten am Anfang die Frage beantworten: „Verstecke ich das BIPV-Element oder zeige ich es?“ Prof. Stark zeigt ein Beispiel eines Bürogebäudes in Tübingen, das Aluminiumfassade und PV-Module kombiniert. Beide weisen einen Bronzeton auf, sodass die Fassade trotz Materialkombination homogen wirkt.

Diesen ästhetischen Anspruch greift auch Kevin Lorenz vom Start-up Envelon in seinem Vortrag auf. Er sagt: „Sobald man vom Dach an die Fassade geht, ist der Anspruch da, dass sie schön aussehen soll.“ Das vor eineinhalb Jahren gegründete Start-up hat eine eigene Modulfertigung in der Nähe von Donauwörth aufgebaut. Der Manager Strategie & Internationalisierung betont, dass ihre Fassadenmodule nicht wie Solaranlagen aussehen. Mit Hilfe von eingebauten Folien könne man vielfältige Farbvarianten anbieten; die Solarzellen schimmern in Blau- und Erdtönen. Die Projekte, die Envelon bisher umgesetzt hat, befinden sich in den Niederlanden und in der Schweiz, „da Deutschland bei dem Thema noch ‚hinten dran‘ ist.“

Tief in die Welt der DIN-Normen, der Zahlen und Fakten und Diagramme tauchte anschließend Dipl.-Ing. Christof Erban, Leiter Forschung & Entwicklung bei der Firma Sunovation Produktion, ein. Problematisch sei vielfach, dass bei der ursprünglichen Formulierung von Normen und Vorschriften nicht zwischen Modulen fürs Dach und die Fassade unterschieden wurde. Auch die Tatsache, dass Elektriker und Bauingenieure vielfach nicht die gleiche Sprache sprechen, führe zu Problemen bei der Ausführung und Interpretation der Normen. Wissenswert: Der Verkaufspreis der PV-Module ist in den letzten 40 Jahren kontinuierlich gesunken und liegt heute um den Faktor 50 niedriger; dagegen sind die Preise für Aluminium und Glas gleich hoch geblieben. Heute sind etwa 5 Milliarden Quadratmeter an PV-Modulen verbaut. Der prognostizierte Zuwachs für 2023 beträgt 25 Millionen Quadratmeter weltweit, der prognostizierte PV-Markt für Deutschland liegt bei 62 Millionen Quadratmeter.

„Grüner Pelz“ für Gebäude

Der Nachmittag führt den Teilnehmenden eindrücklich vor Augen, dass eine erfolgreiche Fassadenbegrünung die Zusammenarbeit zweier Fachdisziplinen erforderlich macht. Um zwei Vorzeigeprojekte vorzustellen – das KII in Düsseldorf und die Calwer Passage in Stuttgart – kommen sowohl die Fassadenplaner vom Stuttgarter Architekturbüro Werner Sobek als auch der Landschaftsgärtner Markus Belz, Prokurist von Jakob Leonhards Söhne in Wuppertal, zu Wort. In einem gemeinsamen Vortrag erfahren die Zuhörer danach mehr über die Kooperation zwischen Systemlieferant Schüco und Vertiko, die gemeinsam eine grüne Elementfassade entwickelt haben.

Zwischen den beiden Vorträgen zeigt Dr. Gunter Mann einen Bilderreigen, anhand dessen er die Unterschiede zwischen wandgebundenen und bodengebundenen Fassadenbegrünungen erläutert, wobei Erstere aufwändiger in Bezug auf Technik und Wartung sei. Die modernen wandgebundenen Fassadenbegrünungen unterscheiden sich von den sogenannten „Selbstklimmern“; diese hat jeder schon mal gesehen, wenn er oder sie vor einer alten Villa gestanden ist, deren Außenfassade komplett von Efeu oder wildem Wein bewachsen ist. Die Fassadenbegrünung insgesamt sei auf dem Vormarsch – das ließe sich sowohl anhand statistischer Zahlen festmachen als auch an der Tatsache, dass sie zunehmend von den Kommunen gefördert wird. 2021 wurden 86.000 Quadratmeter Fassadenbegrünungen neu umgesetzt; 15,4 % davon waren wandgebunden. 117 deutsche Städte über 50.000 Einwohner legen eine Begrünung im Bebauungsplan fest. Für den Neckar Park hat beispielsweise die Stadt Stuttgart eine 30-prozentige Begrünung vorgegeben, wie die Planer von Werner Sobek wussten.

30.000 Hainbuchen auf acht Kilometer

Carmen Herrmann, Projektleiterin Fassadenplanung, und Florian Starz, Teamleiter Fassade vom Architekturbüro Werner Sobak in Stuttgart, stellten zwei beeindruckende Referenzprojekte vor: den Kö-Bogen in Düsseldorf, genannt KII, mit der größten Grünfassade Europas und die Calwer Passage in Stuttgart; das denkmalgeschützte Gebäude bot an einem der belebtesten Plätze in Stuttgart keinen wirklich schönen Anblick, was sich nun auf eindrucksvolle Weise geändert hat. Beim KII wurden auf acht Kilometer Länge Pflanzkübel gesetzt und insgesamt 30.000 Hainbuchen gepflanzt; um die Wartung zu erleichtern, wurden Hecken ausgespart, um Wege anzulegen, und Fahrwagen entwickelt, um an der Fassade entlang zu fahren. Man erfuhr etwas über die Vorkultivierung der Pflanzen, die technischen Anforderungen sowie so manche Herausforderung angesichts der Wünsche der Architekten. Beispielsweise sollten Rohre zur Bewässerung nicht sichtbar sein oder man sollte lieber ein Entwässerungsrohr mehr einplanen, um zu verhindern, dass auf den dunklen Rohren Kalkflecken sichtbar werden.

Herrmann, die einzige Referentin unter den insgesamt zehn Rednern der Tagung, gab noch einen kurzen Ausblick auf die neuesten Entwicklungen in Sachen Fassadengrün. Zum Beispiel forsche man daran, nicht nur Zierpflanzen, sondern auch Nutzpflanzen an die Fassade zu bringen. Es werde mit Algen experimentiert mit dem Ziel, eine Bioreaktorfassade zu verwirklichen. Denkbar wäre auch, dass an einem Kordelsystem Kräuter wachsen. Da die Architekten und Planer keine Experten in Sachen Pflanzenauswahl sowie Pflanzenkultivierung und -pflege sind, holten sie sich für beide Großprojekte die Expertise von Martin Belz hinzu. In seiner Vorstellung kokettierte dieser damit, dass er zwar 45 Jahre Erfahrung als Landschaftsgärtner mitbringe, seine Erfahrung als Redner dafür aber begrenzt sei. Mit seiner offenen und direkten Art brachte er frischen Wind in die Vortragsreihe und er war es, der die meisten Fragen aus dem Publikum beantwortete.

Gut für Seele und Umwelt

Der erfahrene Landschaftsgärtner erlebt zurzeit ein Déja vu. Heute befinde man sich in Sachen Fassadengrün in einer „Trial-and-Error“-Phase wie vor 40 Jahren bei der Dachbegrünung. Heute ist das Fassadengrün noch etwas Besonderes, aber es sei beherrschbar und auch die Folgekosten seien in der Regel nicht so gigantisch, wie manche Bauherren befürchten. Den Seelenfaktor dürfe man nicht zu gering einschätzen, so Belz. Das Grün trage erheblich zum Wohlbefinden bei. Er erzählt von einem Meeting, als er sich Hundert Anwälten gegenübersah, die ihre Büros in der Calwer Passage haben und von denen viele anfangs dem grünen Vorhang skeptisch gegenüber standen. „Wachsen die Pflanzen in die Büros hinein oder kommen Spinnen rein?“ – so lauteten einige der Vorbehalte. Am Ende freuten sich die meisten auf die Begrünung der Außenfassade und die Angst, dass man nicht mehr nach draußen sehen kann, hatte sich gelegt.

Was den Tagungsteilnehmern vom Vortrag des Martin Belz wohl im Gedächtnis haften bleiben wird: die Wichtigkeit des Worts „Transpirationsvolumen“. Das verdampfende Wasser macht die Luft kühler und geht letztendlich in den Regelkreislauf über. Und: „Je größer es ist, umso besser!“ Der Appell des Landschaftsgärtners: „Wer grün ernst meint, muss zusehen, dass möglichst viel Wasser verdampft.“

Know-how aus zwei Welten

Das Vortrags-Duo bestehend aus Florian Schmidt, Produktmanager bei Schüco aus Bielefeld, und  Kilian van Lier, Standortleiter der Vertiko GmbH, verdeutlichte die erfolgreiche Zusammenarbeit des Systemlieferanten mit dem auf Fassadenbegrünung spezialisierten Unternehmen aus Freiburg. Das Ziel der Kooperation: eine individuelle Fassadenbegrünung mittels einer vorkonfigurierten Elementfassade zu realisieren. Das sei ähnlich wie die Konfiguration eines Neuwagens, zur Farbauswahl komme eben noch die Pflanzenauswahl hinzu, so Schmidt. Die beiden Firmen haben gemeinsam ein grünes Modul entwickelt; dieses wird vorher schon bepflanzt bzw. die Pflanzen kultiviert und die Taschen mit Substrat gefüllt; auch die Brandschutzanforderungen sind gewährleistet. Während der Entwicklung habe man 250 Pflanzenarten getestet und schließlich 20 ausgewählt, die in Frage kommen, erzählt van Lier. Ein Quadratmeter des Kassettensystems ist zwischen 27 und 30 Kilogramm schwer und leicht zu montieren: „Das vollständig begrünte Modul wird auf der Baustelle nur noch eingehängt.“

Ein bisschen schade war es, dass aufgrund eines nicht optimalen Zeitmanagements gar beide geplanten Podiumsdiskussionen ausfielen; zum Schluss gab es zwar eine Fragerunde, aber – wie auch ein Teilnehmer im Publikum kritisch anmerkte –, wurden keine Querverbindungen zwischen den beiden Maßnahmen hergestellt beziehungsweise diskutiert. Carmen Herrmann betonte, dass beide Methoden nicht in Konkurrenz stehen sollten; sie schlug vor, vorrangig die PV-Module zu platzieren und danach zu schauen, wo man die Begrünung integrieren könne.

Einen Lacher am Schluss provozierte Martin Belz, als er eine Frage aus dem Publikum beantwortet, was denn die beste Art der Wartung wäre. Die Kletterwartung wäre die schlechteste Variante, denn „gute Kletterer sind meist schlechte Gärtner und umgekehrt.“ Am besten eigne sich ein fester Wandelgang mit 50 Zentimeter Breite, um den Pflegern die Wartung des Fassadengrüns und der Hecken zu ermöglichen.

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