Zum Plus-Energie-Haus saniert

Durch klimaschonende Modernisierungsmaßnahmen wurden die entstehenden Energiekosten nicht nur um drei Viertel gesenkt, der Umbau führte insgesamt zu einem Überschuss in der Energieerzeugung. Dieses Mehr an Energie wird in das öffentliche Stromnetz der Stadt eingespeist.

Die Fassade, Kellerdecken und Dachflächen des Geschäftshauses wurden neu gedämmt und dreifachverglaste Fenster eingesetzt. Dabei handelt es sich um Alufenster der Firma B&S Metallbau aus Rheine. Die Fenster haben einen U-Wert von 0,89 W/m²K sowie einen g-Wert von 0,49.

Eine hocheffiziente und vollautomatische Lüftungsanlage sorgt für gutes Klima. Durch modernste Techniken und Materialien, die Kombination aus Geothermie, Fernwärme und Photovoltaik, wird das Gebäude mit Energie versorgt.

Mehr als eine Million Euro sind in die Sanierung des Hauses geflossen. Einen Teil der Kosten hat Covestro über sein ECB-Projekt zugeschossen. Den Großteil hat Bauherr und Projektentwickler Oliver Helmke gezahlt. Rechnen soll sich die Investition auch, bei der Miete gibt es künftig Spielraum. Weil die Mieter keine Nebenkosten mehr haben, vermietet Helmke brutto-warm. „Ich glaube, in 15 bis 20 Jahren ist es normal, so zu bauen.“

Gebäude mit gobaler Vorbildfunktion

Kooperationspartner beim Umbau ist die ehemalige Bayer Material Science, heute Covestro, die sich in einem Verbund mit weiteren Unternehmen der Gebäudetechnik befindet. Mithilfe des EcoCommercial Building Program (ECB) von Covestro wird die Modernisierung des Gebäudes in der Hansastraße von Bottrop zum ECB-Zukunftshaus Realität und strahlt in seiner Signalwirkung und Vorbildfunktion auf die gesamte Region aus.

Das heutige Zukunftshaus mit einem Jahresbedarf an Heizenergie von nur 15 kWh/m² geht auf einen 2012 ausgelobten Wettbewerb zurück. In dieser Ausschreibung wurden drei für die Ruhrregion typische, in die Jahre gekommene Immobilien aus den Kategorien Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus und Geschäftshaus gesucht, die nach ihrer Metamorphose zum Plus-Energie-Haus den aktuellen Stand der Technologie- und Produktentwicklung im Bausektor widerspiegeln. „Da es das einzige uns bekannte Geschäftshaus weltweit ist, das sich durch eine Komplettsanierung zum Plus-Energie-Haus gewandelt hat, messen wir dem Gebäude eine globale Vorbildfunktion in Sachen Nachhaltigkeit bei“, betont Bauherr und Projektentwickler Helmke. Für die Ausführungsplanung und Bauleitung war Architektin Anna Vering verantwortlich, die ebenfalls zum Team von Oliver Helmke aus Bottrop gehört.

Fassade soll Innenstadt aufwerten

Der fünfgeschossige Stahl-Beton-Skelett-Bau aus dem Jahr 1964 stellte die Planer neben seiner energetisch nachteiligen Konstruktion durch die beengte innerstädtische Lage vor zusätzliche Herausforderungen: So ist nicht nur der Tageslichteinfall durch die unmittelbar angrenzende Nachbarbebauung auf der Nord-, West- und teilweise Ostseite deutlich reduziert, auch bot das Flachdach relativ wenig Installationsfläche für Solartechnik. Darüber hinaus galt es, die Innenstadt mit einer neuen straßenseitigen Fassade architektonisch aufzuwerten.

Und damit zeigt sich auch die auffälligste Änderung. Die alte Fassade wurde durch eine wellenförmige Fassade in Eiskristall-optik ersetzt. „Wir haben ein Material gesucht, mit dem wir diese Wellen realisieren können und das zudem eine Oberfläche hat, die etwas Besonderes ist“, so die Architektin. Dabei sollte das Material sich in Struktur und Fertigkeit aber auch harmonisch in das Straßenbild einfügen.

Die Fassade ist aus Pladur Relief Ice-Crystal, einem Qualitätsflachstahl von Thyssen Krupp. Diesen Namen hat er, weil die Oberfläche wie von Eiskristallen überzogen scheint. Bislang wurde dieser Baustoff vor allem im Industriebau als hinterlüftete Fassade eingesetzt. Die Verwendung im hochwertigen Geschossbau ist eine Premiere. Vering ließ sich dabei davon überzeugen, dass sich mit dem Material klare Kanten realisieren lassen. „Die Oberflächenbeschaffenheit ist beeindruckend“, sagt die Architektin.

Das Material ist nicht nur schön anzuschauen, sondern auch besonders kratzfest, schmutzabweisend und durch eine Verzinkung und die organische Beschichtung wirkungsvoll gegen Korrosion geschützt. Es kann gebogen, gezogen und gekantet werden, es lässt sich profilieren, stanzen, fügen und verkleben – und zwar ohne Risse oder Einbußen in der Stabilität.

„Die Verarbeitung lief sehr gut“, bestätigt auch Lars Werner, geschäftsführender Gesellschafter von HSP-Fassaden in Kolkwitz, die die Fassadenelemente in die richtige Form und an das Gebäude gebracht hat. „Obwohl das Stahlblech nur 1,25 Millimeter dick ist, hat es eine ausreichende Steifigkeit – und beult nicht aus“, sagt Werner. Die Fassade umschließt die Ost- und Südseite des Hauses. Die Herausforderung bestand darin, die 1,25 mm dicken Stahlblechelemente als geschwungene ­Linien unsichtbar an der Unterkonstruktion zu befestigen. Was die technischen Details beim Zusammenspiel der Fassade mit dem Unterbau angeht, hält Werner sich aber bedeckt und gibt wenig preis. „Das ist Spezialwissen, was so nicht frei verfügbar ist“, sagt er. „Damit verdienen wir unser Geld und heben uns auch vom Wettbewerb ab.“

Energieeffiziente Maßnahmen

Zur Senkung des Energieverbrauchs um fast 75 % setzte das Planungsteam auf eine wärmebrückenfreie Dämmung der Gebäudehülle mit U-Werten der Außenwände von 0,13 W/m²K (Passivhausniveau) sowie eben auf die Fenster mit Dreifachverglasung und 90-prozentiger Wärmerückgewinnung. Integrierter Sonnenschutz, Photovoltaik, Geothermie und intelligente Licht- und Gebäudetechnik runden das Gesamtkonzept ab.

Die Mindestanforderung an den Primärenergiebedarf nach EnEV 2014 ist – gemäß DIN V 18599 zur Bewertung des Energiestandards – um 78 % unterschritten, bei den U-Werten liegt die Unterschreitung bei 53 %. Die Berechnung des Energiebedarfs stellte das IJP Ingenieurbüro P. Jung aus Köln vor einige rechnerische Herausforderungen. „Um die gewünschten Werte eines Energie-Plus-Hauses zu erzielen, haben wir sehr viele Einzelmaßnahmen intelligent kombiniert“, erklärt Projektleiter Patrick Jung.

Als Dämmmaterial kamen bauseits PU-Hartschaumplatten zum Einsatz, die sich durch unterschiedliche, teilweise nur zehn Zentimeter dicke Platten der geschwungenen Fassadengeometrie anpassen, ohne dabei Einbußen beim geforderten Wärmeschutz auf Passivhausniveau in Kauf nehmen zu müssen. Das gesamte Gebäude ist mit diesen PU-Platten gedämmt: das Wärmedämmverbundsystem, die Isolierung der Kellerdecke sowie des Flachdaches.

In beengten Innenstadtlagen wie in Bottrop zahlen sich PU-Hartschaum­platten zur Dämmung der Gebäudehülle gleich auf mehrfache Weise aus. Mit Wärmeleitfähigkeitsstufen (WLS) von 023 bis 026 können – im Vergleich zu konventionellen Dämmstoffen – die Dämmschichten bis zu 40 % dünner ausfallen. Das kann wertvolle Nutzfläche im Innenraum schaffen und notwendige Gebäudeabstandsflächen im Außenbereich sichern.

Seine Vorzüge spielt PU-Hartschaum des Weiteren auf dem Dach aus: Auf dem Zukunftshaus kamen rund 180 Quadratmeter PU-Hartschaumplatten „Linitherm PAL Universal“ von Linzmeier Bauelemente aus Riedlingen zur Anwendung. Wie das gesamte Gebäude musste auch das Dach bis auf die tragenden Bauteile komplett erneuert werden. Eine Dampfsperre, die Flachdachdämmung und eine Abdichtung unter der aufgeständerten Photovoltaikanlage ersetzen heute den alten Aufbau. In Summe ergibt sich daraus ein exzellenter U-Wert des Dachs von 0,11 W/m²K.

„Da die Attikahöhen von Sanierungsobjekten in der Regel für zeitgemäße Dämmpakete zu niedrig sind, zahlte sich auch in Bottrop die geringe Wärmeleitfähigkeit von Polyurethan-Hartschaum aus“, betont Ralf Scheffler, Leiter Projektmanagement bei Linzmeier Bauelemente. „Bei einer durchschnittlichen Gesamtdicke von nur 200 Millimetern besitzen die beidseitig mit Aluminiumfolie kaschierten Linitherm PAL Universal Dämmplatten eine WLS von 023.“ Der Fachmann entschied sich außerdem für eine Druckfestigkeit von 120 kN/m² der 1.600 x 1.200 Millimeter großen Elemente, um unter der Solaranlage für einen druckstabilen Untergrund zu sorgen.

Auch das Heizungssystem passt ins Energiekonzept. Zwei 100 Meter tiefe Bohrungen versorgen das Haus mit Geothermie. Statt herkömmlicher Heizsysteme temperieren Heiz- und Kühldecke die Räume.

Die Deckenflächenkühlung funktioniert ähnlich wie eine Fußbodenheizung – nur viel effizienter, weil das Kalte ja nach unten fällt. „Das Haus ist gut eingepackt“, sagt Helmke. „Wir müssen es nur kühlen.“ LED-Lichter mit Bewegungssensor schalten sich automatisch aus, wenn man geht.

108 Photovoltaik-Module versorgen das Haus mit Strom. Die Module erzeugen so viel Energie, dass das Haus mehr Strom produziert, als es verbraucht. „Es ist energieautark“, sagt Anna Vering. So wird beispielsweise der Aufzug solarbetrieben. Fährt er nach unten, erzeugt er sogar Energie. Kollektoren auf dem Dach bündeln das Tageslicht und lenken es per Glasfaser in die fensterlosen Räume.

Fazit

„Das Gebäude ist ein Vorzeigeprojekt“, ist sich die Architektin sicher. „Wir wollen damit auch andere Architekten und Bauherren anspornen, Altbauten energetisch zu sanieren.“ Der Wandel vom Strom- und Ölfresser zum plusenergetischen Zukunftshaus habe gezeigt, dass dies machbar sei. Das hat auch die Jury der Initiative „InnovationCity Ruhr“ überzeugt. Bei dem Wettbewerb hat das Bottroper Haus den ersten Preis in der Kategorie Geschäftshäuser gewonnen.

Allein in Bottrop soll in den nächsten Jahren eine Modellstadt entstehen. 50.000 Haushalte sollen einbezogen werden. Das Zukunftshaus war dabei eine Art Startschuss. „Mit diesem Projekt können wir einer breiten Öffentlichkeit zeigen, welches enorme ökologische Potenzial in der energetischen Sanierung steckt“, sagt Thomas Römer von Covestro, ehemals Bayer Material Science. Der Bau hat Aufmerksamkeit geweckt. Zur Eröffnung kam sogar Bundesbauministerin Barbara Hendricks.

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