Interview

Dr. Thomas Herrmann, Gutachter

„Oft sind Brückenbauteile für die Bäder zu groß.“

Dr. Thomas Herrmann ist von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. 1990 gründete er die Dr. Herrmann GmbH & Co. – Zentrum für Korrosionsschutz und Pulverbeschichtung. Als Gutachter nimmt er häufig vor Gericht Stellung zu Schadensfällen oder wird zu Bauüberwachungen herangezogen, um Korrosionsschutzarbeiten neutral beratend zu begleiten und diese zu überwachen. Sein Mitarbeiter Dennis Lenz, „frischgebackener“ Frosio Inspektor für Oberflächenbehandlung – Level III, kann nicht nur selbstständig Inspektionen durchführen, sondern auch Empfehlungen für die Sanierungstechnologie aussprechen, um Schadensfälle zu beheben.

metallbau: Mit welchen Korrosionsschäden haben Sie am häufigsten zu tun?

Dr. Thomas Herrmann: Die häufigsten Probleme gibt es bei der Haftung von Lacken. Dass der Lack abplatzt, kann bei Werkstücken nach einer Duplex-Beschichtung (Verzinkung + Pulver- oder Nasslack) passieren oder bei solchen, die mit Dual-Systemen behandelt wurden, also häufig mit einer Härter-basierenden Beschichtung aus Nasslack oder Pulver. Dual bedeutet, dass zwei organische Beschichtungen zur Anwendung kommen und keine Feuerverzinkung zuvor auf dem Stahlsubstrat erfolgte.

metallbau: Große Brücken aus Stahl werden üblicherweise nicht feuerverzinkt, richtig?

Dennis Lenz: Richtig, denn die einzelnen Bauelemente sind häufig zu groß für das Verzinken. Die Zinkbecken sind normalerweise maximal zwölf Meter lang. Hinzu kommt, dass das Zinkbad sehr heiß ist. Bei Temperaturen von 430 Grad Celsius besteht die Gefahr, dass sich längere Stahlelemente verziehen, sprich krumm werden.

Dr. Herrmann: Üblicherweise werden die Werkstücke für Brücken mit einem 4‑Schichtsystem behandelt, und zwar mit einer Nasslackbeschichtung. In der Regel lassen sich diese Brückenbauteile auch nicht mehr pulverbeschichten, weil sie meist wegen ihrer Größe nicht in die Pulver-Einbrennöfen hineinpassen.

metallbau: Was kann während des Beschichtens schief- gehen, sodass es zu Haftungsproblemen kommt?

Dr. Herrmann: Das fängt bei der Vorbereitung des Stahls an. Wenn nicht richtig gestrahlt wird, löst sich die Beschichtung vom Untergrund. Gerade die mit Zinkstaub gefüllten Grundierungen brauchen einen rauen Untergrund; man spricht von einer „Mittel-Grit-Rauheit“, das sind mittlere Rauheitswerte (Rz), die zwischen 60 und 100 µm liegen und mit kantigen Strahlmitteln (Grit) erzeugt werden.

metallbau: Was kann bei den nachfolgenden Zwischenbeschichtungen „passieren“? Könnten Sie das bitte für unsere Leser erläutern?

Lenz: Es war lange Zeit üblich, die weiteren Schichten mit Epoxidbindemittel aufzubauen, bevor die Deckbeschichtung appliziert wird. Der letzte Auftrag einer Epoxidschicht erfolgt mitunter noch im Werk und danach wird das Bauteil auf die Baustelle transportiert. Doch vielleicht gibt es dort eine Bauunterbrechung. Dann wird das Epoxidbindemittel durch die länger andauernde UV-Bestrahlung abgebaut. Dadurch können sog. Kreidungserscheinungen und Mikrorisse entstehen. Wenn das nicht bemerkt wird und vor Ort die Deckbeschichtung aus UV-beständigen Polyurethan (PU)-Bindemitteln auf die partiell schon angegriffene Zwischenbeschichtung aufgetragen wird, kommt es über kurz oder lang zu Lackhaftungsproblemen. Deshalb ist man seit geraumer Zeit dazu übergegangen, diese letzte Zwischenbeschichtung auch als PU-Bindemittel auszuführen. Diese ist dann UV-beständig und somit witterungsstabil während der Brückenbauzeit.

metallbau: Und wenn eine Brücke so ein Beschichtungssystem mit vier Schichten erhalten hat, die den Normen entspricht, hält diese dann ohne weiteres 25 Jahre und länger, ohne sie warten zu müssen?

Dr. Herrmann: Ein Korrosionsschutzsystem ist immer nach zwei Faktoren ausgelegt: erstens, nach den Umgebungsbedingungen hinsichtlich ihrer zuordnenbaren Korrosivitätskategorie, welche sich auf das Bauwerk auswirken können, und zweitens nach der Schutzdauer. Eine Korrosivitätskategorie „C4 (starke Korrosions-Beanspruchung)“ und eine Schutzdauer von „Hoch“ nach DIN EN ISO 12944 bedeutet: Es herrscht eine aggressive Atmosphäre wie auf Bundesstraßen und Autobahnen sowie in Küstennähe mit mäßiger Salzbelastung und eine Sanierung der Beschichtung wird erwartungsgemäß erst nach 15 bis 25 Jahren erforderlich.

metallbau: An diesen beiden Angaben orientieren sich dann die Beschichtungsunternehmen? Die Anforderungen stehen in der Ausschreibung,  richtig?

Dr. Herrmann: Eigentlich ja, aber häufig gibt es auch den Fall, dass die Planungsbüros oder Architekten diese Angaben in der Ausschreibung teilweise offenlassen.

metallbau: Aber solche elementaren Angaben können doch in der Ausschreibung nicht einfach vergessen werden …?

Dr. Herrmann: Doch, das gibt es. Weil diese Ausschreibungs-Forderungen häufig mit höheren Kosten verbunden sind.

Lenz: Wir bekommen oft Leistungsverzeichnisse zur Prüfung vorgelegt und stellen immer wieder gravierende Mängel fest – schon in der Ausschreibung.

metallbau: Kommen wir auf die verschiedenen Beschichtungsarten zu sprechen. Gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen einer Pulverbeschichtung und der Nasslackierung?

Lenz: Nein. Mit beiden Verfahren kann man die gewünschte Schutzdauer und Korrosivitätskategorie erreichen. Nur bei extremen Korrosionsbedingungen (z.B. Offshore) stößt die Pulverbeschichtung aufgrund der limitierten Schichtdicke an ihre Grenzen (ca. 250 µm bei einer 2-fachen Pulverlackierung). Außerdem ist diese nur möglich bei Bauteilen, die auch in den Ofen passen, also üblicherweise bis etwa acht Meter.

Dr. Herrmann: Bei der Nasslackierung braucht es in der Regel mehrere Schichten.

metallbau: Gibt es da eine Art „Stolperfalle“?

Dr. Herrmann: Ja, die erste Nasslackschicht muss richtig trocken sein, bevor die nächste Schicht aufgetragen wird. Einer der größten Fehler im Nasslackbereich ist, wenn man die Zwischentrockenzeiten der einzelnen Anstrichfolgen nicht einhält.

metallbau: Und was passiert, wenn man das nicht tut?

Lenz: Es befinden sich dann noch Reste vom Lösungsmittel im Lack, die sich nicht verflüchtigt haben. Wenn dann die Sonne darauf scheint und sich die Oberfläche erwärmt, baut sich durch die flüchtigen Lösemittel ein Druck unter dem Decklack auf. Es können sich Blasen bilden, die teilweise aufplatzen und Krater, Risse sowie Poren hinterlassen, woraus sich Schwachstellen in der Korrosionsbeständigkeit ergeben. Es folgt eine Unterrostung des Lackfilmes und schließlich zeigen sich Haftungsprobleme der Nasslackbeschichtung.

metallbau: Für kleinere Brücken wie Behelfsbrücken: Reicht dafür die Feuerverzinkung aus oder ist eine Duplexbeschichtung besser?

Dr. Herrmann: Solange die Brücke keinen großen korrosiven Angriffen ausgesetzt wird, ist eine feuerverzinkte Behelfsbrücke recht robust. Ist das Bauwerk aber Tausalzen ausgesetzt wie an Autobahnbrücken oder steht es am Meer oder in Küstenregionen, wird Zink sehr schnell korrodieren und zeitnah wegrosten, d.h. der Zinküberzug verliert an Schichtdicke mit einer Rate von ca. 6…8 µm pro Jahr (zum Vergleich: Gesamtschichtdicke einer Stückgut-Feuerverzinkung: ca. 80…120 µm). Mit einer zusätzlichen Beschichtung ist die Brücke länger vor Korrosion geschützt und auch umweltfreundlicher.

metallbau: Inwiefern?

Dr. Herrmann: Nehmen wir das Beispiel Leitplanken. Wenn das Zink nicht noch durch eine Lackierung geschützt ist, dauert es zehn bis zwölf Jahre, bis die vorhandenen Tausalze in den Wintermonaten auf den Autobahnen das Zink abgewittert haben. Dabei entsteht der sogenannte Weißrost (Zinkoxid). Dieser gelangt dann in den Erdboden und kann Grundwasser vergiften.

metallbau: Wirklich?

Dr. Herrmann: Ja, das ist so! Wir fordern seit Jahren, dass  Leitplanken beschichtet werden und dass aus sicherheitstechnischem Aspekt evtl. Glasgranulat zur Lichtreflexion im Dunkeln eingebracht wird. In Frankreich werden die Leitplanken verzinkt und pulverbeschichtet. Dadurch sind sie viel länger haltbar.

Lenz: Diese Gesundheitsproblematik und die Tatsache, dass das umweltgefährdende Zinkoxid ins Erdreich eindringt, rückt immer mehr in den Fokus der Nachhaltigkeits-Diskussionen.

https://dr-herrmann-gmbh.de/

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