Elektrische Spannung an der Tür

Griff an Türklinken führt zum Tod

Im April verstarb im Psychologischen Institut der Bremer Universität ein 53-Jähriger, nachdem er in einer Arztpraxis zwei unter Spannung stehende Türgriffe benachbarter Türen berührte. Zwar soll es inzwischen Hinweise auf unsachgemäße handwerkliche Arbeiten geben, aber eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bremen zu Ergebnissen der Ermittlung lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Wir haben Gutachter Ulrich Skubsch befragt — der Dipl.-Ing. für Elektrotechnik hat im Vorfeld des Interviews betont: „Die Pressemeldungen lassen keine objektiven Urteile über den Vorfall zu. Bei meinen Antworten kann es sich ausschließlich um fachlich fundierte Annahmen handeln.“ Die Kriminalpolizei ermittelt gegen die Verursacher wegen fahrlässiger Tötung. Es wird geprüft, welche Personen an der Sanierung beteiligt waren und wer welche Arbeiten geleistet hat.

metallbau: Ist Ihnen schon einmal ein Fall bekannt geworden, dass ein Mensch durch einen Stromschlag zu Tode kam, weil er zugleich an zwei Türgriffe gefasst hat?

Ulrich Skubsch: Nein, im privaten Leben und aus Erlebtem nicht ... wohl aber berufsbedingt aus Berichten unterschiedlichster Quellen. Die Aufklärung solcher Unfälle kann stets die Weiterbildung und Verbesserung von Schutzmaßnahmen fördern. Bei Tätigkeiten an Metallkonstruktionen im Bestand sollte deshalb grundsätzlich gelten, mit mindestens dem Leitungsprüfer vorab Spannungen zu checken.

metallbau: Wie ist es technisch vorstellbar, dass zwei Türgriffe unter einer so hohen Spannung stehen, dass davon ein tödlicher Schlag ausgeht?

Skubsch: Grundsätzlich bedarf es zunächst einer Spannungsquelle. Oft ist dies aus der Elektroinstallation im Gebäude resultierend, möglich ist aber auch ein Blitzschlag oder ein schadhaftes Kabel in der Erde außerhalb des Gebäudes. Es müssen die Teile, die berührt werden, leitend sein, also meist metallisch. Wie auch immer, an irgendeiner Stelle muss die Metallkonstruktion leitenden Kontakt zu einer spannungsführenden Gebäude-/Leitungs-Komponente erlangt haben — beispielsweise einem angebohrten Kabel im Gebäude oder zu einem in ein Erdkabel gegründeten Pfahl eines Metallzauns. Dies kann durchaus auch erst in der Folge, z.B. bei/nach Überflutungen, durch Wasser geschehen. Auch andere Fehler in der Installation können ursächlich sein, z.B. wenn gerade an einer Elektroinstallation gearbeitet wird und schlicht durch menschliche Fehler Kabel vertauscht werden.

metallbau: Ab welcher Spannung wird es für die Gesundheit des Menschen gefährlich?

Skubsch: Tückisch ist, dass es z.B. bei der Berührung mit der Hand schon ab 10 Milliampere (mA) zum Verkrampfen der Muskulatur kommen kann, der Betroffene kann dann das angefasste Metallteil wie eine Türklinke nicht mehr loslassen. Bei höheren Strömen, schon ab 30 bis 50 mA, können Atemlähmung, Herzkammerflimmern und -stillstand dann zum Tode führen. Bei höheren Spannungen kommen Verbrennungen hinzu. Zusammengefasst: Fließt Wechselstrom größer 50 mA durch den menschlichen Körper tritt in der Regel Herzkammerflimmern einhergehend mit multipler Muskelverkrampfung und anschließendem Herz-Stillstand auf. Der Mensch stirbt nach wenigen Sekunden.

metallbau: Der 53 Jahre alte Mann in Bremen verstarb, nachdem er zwei Türgriffe gleichzeitig berührte, die unter Strom standen. Laut Polizeibericht haben sich die Türen nebeneinander befunden. Die Ermittler führten mit Sachverständigen und weiteren Experten verschiedene Strommessungen an Wänden und Türen durch. Die ersten Analysen ergaben, dass mehrere Türen der Praxis unter Elektrizität standen. Es floss Strom durch die aus Metall bestehenden Türzargen. Herr Skubsch, wie beurteilen Sie diese Schilderungen im Polizeibericht?

Skubsch:  Zunächst kann ich mit der polizeilichen Information ... „unter Elektrizität standen“ nichts anfangen, den Begriff gibt es nicht! Leichtbauwände sind oft mit scharfkantigen Profilen versehen, es kann bei Berührung einer spannungsführenden Leitung irgendwann die Isolierung der Leitung durchgescheuert sein, dann existiert eine leitende Verbindung zum Rahmen etc. Sind also scharfkantige Profile in der Nähe von spannungsführenden Leitungen, dann ist extreme Vorsicht geboten. Die Schutzmaßnahme mit Potentialausgleichsschienen  ist immer sinnvoll, teilweise ja auch Vorschrift. Ein plötzlich fließender Strom gegen den Potenzialausgleich lässt Sicherungen (Leitungsschutzschalter — klassisch in der Elektroinstallation) schalten, der entsprechende Stromkeis wird unterbrochen und stromlos. Noch schneller reagieren in der Regel sogenannte FI-Schalter, welche fortlaufend die Summe der kommenden mit der Summe der abgehenden Ströme vergleichen: Fließt irgendwo ein Fehlerstrom, wird das gesamte System stromlos geschaltet. Der Bremer Fall scheint jedoch anders geartet zu sein und ist ohne weitere Detailinformationen nicht abschließend zu analysieren.

metallbau: Wie lässt sich von den Betreibern von Wohnungen prüfen, ob die elektrischen Leitungen mit Potenzialausgleichsschienen oder FI-Schaltern gesichert sind?

Skubsch: Der Fachmann — und nur ein solcher sollte dies machen — hat Prüfstecker oder Messinstrumente, mit welchen sich das Netz und die Installation sehr kostengünstig prüfen lassen.

metallbau: Der Polizeibericht spricht von zwei unter Strom stehenden Türgriffen, die der 53-Jährige zugleich berührt haben soll — was hat es damit auf sich?

Skubsch: Bei meinen Annahmen gehe ich davon aus, dass die zwei Türklinken voneinander isoliert mit dem Leitungsnetz verbunden gewesen sind. Dieser Fall ließe sich konstruieren, wenn ein Monteur bei Befestigung der Zarge der linken Türe vom 3- Leiter-Netz beispielsweise L1 anbohrt und so Spannung auf die eine Türe kommt, gleichzeitig müsste — in diesem doppelt unglücklichen Fehlerfall — ein Monteur bei der Zarge der rechten Türe L2 oder L3 angebohrt haben, sodass auch die zweite Türe unter Spannung geriet. Fasst ein Mensch nun beide Türklinken an, wird er zur Verbraucherkomponente zwischen L1 und L2. Keine Sicherungsmaßnahme wie ein FI-Schalter oder der Potenzialausgleich wird ausgelöst, weil das Stromnetz keinen Fehler registriert. Wie wahrscheinlich eine solche Situation ist, darum geht es bei einer so theoretischen Fallkonstruktion nicht. Der Betreffende kommt im Übrigen auch zu Schaden, wenn er die Türklinken mit beiden Händen anfasst und diese beide mit L1 verbunden sind. In diesem Fall ist aber vorausgesetzt, dass kein FI Schalter installiert ist, der jedoch vorhanden sein müsste.

metallbau: Haben Sie noch eine andere theoretische Fallkonstruktion parat?

Skubsch: Denkbar ist auch, dass beide Türklinken gleichzeitig mit nur einem spannungsführenden Leiter verbunden waren; das ist beispielsweise vorstellbar, wenn ein Metallbauer beim Einbau der Türzarge vom 3-Leiter-Netz nur L1 angebohrt hat und so Spannung auf die Zarge kommt, die dann wiederum, weil konstruktiv über eine z.B. Metallstrebe mit der zweiten Zarge/Türe verbunden, auch diese unter Spannung setzt. Bei dieser Fallkonstruktion stellt sich die Frage nach einem Verbund mit einem Potenzialausgleich und der Nutzung von nur Leistungs-Schaltern des Stromkreises oder ob tatsächlich kein FI-Schalter eingebaut war. Denn dieser hätte in Funktion treten müssen. Es ist klar: Ein Leistungsschutzschalter schützt Sachwerte, menschliches Leben kann nur ein FI–Schalter sicher schützen, der durch eine physikalische  Fehlermeldung automatisch ausgelöst wird. Ferner ist auch denkbar, dass die Metallzargen nicht geerdet waren. Dieser Fehler sollte keinem Metallbauer passieren; die regelkonforme Erdung metallischer Bauelemente ist in Verbindung mit elektrotechnischen Schutzmaßnahmen eine Art Berufsversicherung.

metallbau: Was könnte denn ein Grund sein, dass ein FI-Schalter nicht angesprochen hat?

Skubsch: Sowas kann passieren, wenn beispielsweise eine Steckdose außer Funktion genommen wird: die 230V-Netz-Leitungen werden mit Isolierkappen geschützt/isoliert und verbleiben schlichtweg in der Wand. Weiter ist denkbar, dass von einem Metallbauer, der die Türzargen installiert, die existierende, verputzte elektrische Leitung gar nicht zur Kenntnis genommen wird und deshalb im Zuge der Montage angebohrt wird. Solche Fehler sind mir aus meiner Gutachterpraxis durchaus bekannt. In Bremen muss es sich um ein komplexes Zusammenspiel wohl mehrerer Fehlerquellen gehandelt haben. Beziehe ich meine Erfahrungen als Gutachter auf die Polizeiberichte, kommt mir dieser Unfall mysteriös vor.

metallbau: Wie bewerten Sie die Info, dass die frischgestrichene Farbe die Rahmen zunächst isoliert haben soll und durch Betätigungen der Türen sich die Farbschicht abgelöst haben soll und deshalb quasi der Isolationsschutz nicht mehr wirksam war?

Skubsch: Als Elektrotechniker ist für mich die gelesene  Erklärung bezüglich der „frischgestrichenen Farbe“ nicht nachvollziehbar. In meiner bisherigen Praxis und auch dem, was ich von diesem Fall kenne, war ein Isolationsschutz (im elektrischen Umfeld) des Türrahmens durch eine Farbschicht gar nicht relevant.

metallbau: Können Sie über einen ähnlichen Fall aus Ihrer Gutachtertätigkeit berichten?

Skubsch:  In einem zweistöckigen Einfamilienhaus wurde im Treppenhaus ein durchgängiges Metallgeländer mit Kunststoff-Handlauf eingebaut. Jahre danach wurden Netzwerkkabel verlegt.  Der Monteur erhielt einen empfindlichen Stromschlag durch das Geländer im Treppenhaus. Er musste nach dem Schreck feststellen, dass das gesamte Geländer 230V Spannung führte. Was war geschehen?  Beim Bau des Gebäudes war ein unter dem Putz und damit später unsichtbar verlegtes Kabel nicht in der gemäß Richtlinie konformen und eindeutig definierten Installationszone verbaut worden — Metallbauarbeiten, korrekt durchgeführt, trafen auf die falsch verlegte elektrische Leitung. Fazit für den Metallbauer: Vorher  per Leitungssucher prüfen, prüfen, prüfen.

metallbau: Welches tödliche Risiko eines Stromschlags birgt die gängige handwerkliche Montage von mechatronischen Stahltüren?

Skubsch: Die Schutzvorkehrungen gerade in Deutschland/Europa zählen ohne Zweifel zu den besten der Welt. Werden alle EU-Vorgaben/Richtlinien beachtet, ist von k e i n e r Gefährdung auszugehen. Das beginnt bei der Leitungsführung der Elektroinstallation, geht über die verwendeten und geprüften Produkte weiter über die Sorgfaltspflichten bei der Montage späterer Gebäudeanlagen/-teile bis hin zur regelmäßigen Wartung/Instandhaltung. Eine Liste abzuhakender Positionen gibt es üblicherweise nicht und kann es nicht geben, die individuelle Situation erfordert Bildung und Ausbildung aller Beteiligten. Wichtig: Vielfach ist der Auftraggeber mit seinem Ansinnen „Hauptsache billig“ der entscheidende Faktor für spätere Probleme.

metallbau: Metallbauer haben ohne Zusatzausbildung nur die Möglichkeit, im Kleinspannungsbereich zu arbeiten, für die Installation von mechatronischen Türen reicht das im Normalfall. Halten Sie diese gewerklichen Vorgaben für sinnvoll?

Skubsch: Ja, wenn der „Schuster bei seinem Leisten bleibt“ und sich nicht dem Druck eines Auftraggebers beugt…. „schnell, weil billiger ausnahmsweise an den Vorschriften und Richtlinien vorbei zu handeln“.

metallbau: Was halten Sie von der Weiterbildung Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten, über die ja viele Metallbauer verfügen? Mit diesem Zertifikat ist dem Metallbauer der Anschluss der mechatronischen Türe an das 230V-Netz erlaubt. Halten Sie diese Vorgaben fachlich für ausreichend?

Skubsch: Ja, wenn die Betriebe eine konsequente Vorgehensweise umsetzen. Im Umgang mit elektrischen Spannungen sollten alle streng nach Vorschrift handeln. Das Motto „schnell, schnell und billig, billig“ ist lebensgefährlich!

metallbau: Wie sollte ein Metallbauer handeln, der im Umgang mit Kleinspannungen — was ihm ja erlaubt ist — Spannungen von über 25V Wechselspannung oder 60V Gleichspannung misst — geschweige denn 230V?

Skubsch: Für den Metallbauer gilt dann überlebenswichtig „Finger weg!“. Am Hausanschlusskasten sind sofort die Sicherungen herauszunehmen (bzw. heutzutage auszuschalten) und der Stromversorger (EVU) ist telefonisch zu verständigen. Solche Probleme müssen spezialisierte Fachkräfte lösen.

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