Glasdach als kreuzförmige Welle

Symbolsprache fordert Metallbau heraus

Zwischen der Nordsee und einem Campingplatz, gleich hinter dem Deich, hat die Kirchengemeinde Wangerland ein Gotteshaus gebaut. St. Marien in Schilling verwebt Licht und Geometrie zu einem geheimnisvollen Raumerlebnis. Die „Kirche am Meer“ zieht den Besucher mit einer nicht alltäglichen Metaphorik in ihren Bann.

Etwa 800 Katholiken zählt die Gemeinde im ostfriesischen Schilling – 25 Kilometer nördlich von Wilhelmshaven. Warum diese kleine Pfarrgemeinde mit einem architektonisch so ausgefallenen Gotteshaus von sich Reden macht, erklärt mancher mit dem Campingplatz, der unmittelbar an den Deich vor der Kirche grenzt. Er zählt zu den größten in Europa, aktuell geht man von über einer Million Gäste pro Jahr aus. Die Touristenseelsorge ist für Pfarrer Lars Bratke ein wichtiger Tätigkeitsbereich.

St. Marien soll die Urlauber neugierig machen, ihre Bilder vom blauen Meer, den Wellen, Dünen und der Sonne in Raum und Licht übersetzen und in anderer, geheimnisvoller Weise erlebbar werden lassen. Darum ging es dem Kölner Architektenpaar Ilse und Ulrich Königs in ihrem Entwurf.

Glasdach für Lichtstimmungen. Das Spiel des Lichts mit und im Raum ist Konzept der Kirche. Es gibt keine seitlichen Fenster, das Kirchenschiff wird nur über das Dach belichtet. Oltmanns Metallbau in Barßel wurde mit dem ca. 350 Quadratmeter großen Glasdach beauftragt, das mit dem Aluminium-Profilsystem Schüco FW 60.HI ausgeführt wurde. Die Bauzeit betrug 12 Monate, das Umsatzvolumen für das Metallbauunternehmen ca. 800.000 Euro. „Der Neubau einer Kirche ist in der heutigen Zeit durchaus außergewöhnlich und nicht alltäglich“, konstatiert Sven Stoyke, der bei Oltmanns das Projekt geleitet hat.

Mit dem wellenförmigen Dach korrespondieren die geschwungenen Wände. Rechte Winkel gibt es nicht. Diese Wand- und Dachausbildung versinnbildlichen die Wellen und Dünen, der bläuliche Lichteinfall das Meer. Die konsequente symbolische Sprache gibt der Kirche eine transzendentale Ausrichtung. Die abgerundete Kreuzform ist in einen flachen Quader von 21 auf 30 Metern eingeschrieben. Selbst Höhe und Tiefe des Bauwerks sind in Balance: Die Kirche wurde auf einer Pfahlgründung mit mehr als 23 Meter tief verankerten Bohrpfählen errichtet. Die Welle, die sich zum Glockenturm erhebt erreicht eine Höhe von 21 Metern.

Der Bauherr, das Bischöflich Münstersche Offizialat in Vechta, hat es sich geleistet, einer im Detail durchdachten Symbolik Priorität zu geben — diese war ihm rund 4,7 Millionen Euro wert. Hätten funktionale Anforderungen im Fokus des Entwurfs gestanden, wäre die Kirche sicherlich günstiger zu haben gewesen.

Stützenfreier Kirchenraum. Als Dachträger wurden neun kastenförmige Stahlhohlprofile verwendet. Dadurch war es möglich, den Kirchenraum stützenfrei zu überspannen. Mit dieser Bauweise werden die Lichtspiele auf dem Boden und an der Wand nicht durch Säulen gestört. Die Träger verlaufen quer zur Hauptrichtung der Kirche und bilden die Tragstruktur für den oberen Gebäudeabschluss aus Glas. An der Unterseite wurde eine Lichtdecke montiert, die durch ihre Form den geplanten Lichteinfall mit steuert.

Die geschweißten Hohlprofile haben eine einheitliche Breite von 300 mm und die Höhe variiert von 400 mm bis zu 800 mm, basierend auf der Spannweite von bis zu 20,3 m. Die Wandstärke der Träger variiert von 7,1 mm bis zu 10 mm im Steg und bis zu 15 mm im Flanschbereich. Auch wenn bei Hohlprofilen der Stabilitätsnachweis normalerweise entfallen kann, wurde bei diesen Abmessungen die Stabilität mit einem Verfahren aus der australischen Stahlbaunorm AS 4100 untersucht und nachgewiesen.

Generell werden die Stahlträger aus optischen Gründen überhöht ausgeführt, wobei jeder Träger eine unterschiedliche Überhöhung hat, um einheitliche Verformungen über die gesamte Dachfläche zu erhalten. Zwei Zugbänder, die in den Stahlbetonwandscheiben verankert sind, verbinden alle Träger über 11 m Länge miteinander, um die Durchbiegungen um die schwache Achse zu homogenisieren und zu beschränken.

Anspruchsvolle Bauausführung. Das Dach setzt sich aus über 180 Elementen zusammen, in die das Semco Glas Klima 500 eingesetzt wurde. Weil für die Architekten eine klassische Lüftungs- und Sonnenschutzanlage undenkbar waren, sollte das Glas diese Funktionen übernehmen. Eine spezielle Beschichtung ermöglicht die Temperaturregulierung bei starker Sonneneinstrahlung. Die Planer gehen davon aus, dass mit diesen Gläsern selbst bei Spitzenbesuchszeiten im Hochsommer ein angenehmes Raumklima gewahrt wird. Zudem verfügt das Glas über einen UV-Schutz, der die Materialien im Kirchenraum im Falle von direkter Sonneneinstrahlung vor Ausbleichen und Schädigung schützt. Im Winter hingegen kann das Glas die Sonneneinstrahlung in solare Wärmegewinnung umsetzen und mit einer guten Wärmedämmung die Kirche vor Auskühlung bewahren.

Die gleichzeitig gekrümmte und geneigte Fläche des Glasdachs stellte spezielle He-rausforderungen an die Metallbauer. Die Neigung reicht von sehr steil bis zu einer annähernden „Nullneigung“. Darüber hinaus sind alle seitlichen Dachränder geschwungen ausgeführt. In der Breite hat das Glasdach vom höchsten Punkt bis zum Tiefpunkt, der Dachrinne, eine Neigung von ca. 7 Grad. Kaum zwei Glaselemente haben dieselbe Form. Das Glasdach wurde mit allen Glas- und Profildetails als virtuelles Modell im Computer gebaut. „Die Geometrie des Glasdachs erforderte Sonderlösungen, was die Dichtigkeit und die Entwässerung betrifft“, berichtet Stoyke. Diese haben die Techniker von Oltmanns Metallbau erarbeitet und an 1:1-Modellen überprüft. Die Gesamtgeometrie der Freiform wurde umgesetzt, obwohl die einzelnen Glasflächen nicht gebogen und größtenteils rechteckig gekantet sind.

Um die Lichtstimmungen nach Vorgabe zu realisieren, wurden einzelne Glaselemente mit farbigen Zwischenfolien in drei Blautönen versehen. Die unterschiedlich farbigen Gläser mit den jeweiligen technischen Anforderungen mussten präzise nach Plan eingesetzt werden.

Für zusätzlichen Aufwand sorgte die salzhaltige Luft am Meer, die einen stärkeren Korrosionsschutz erforderte. Stoyke erläutert: „Um diesen zu gewährleisten, wurden die Aluminiumprofile vorbehandelt. Die natürliche Oxidschicht der Profile wurde durch eine elektrochemische Oxidschicht ersetzt.“

Der hohe Meersalzanteil in der Luft und der unkalkulierbare Wind waren erschwerende Faktoren für die Bauausführung. Der Einbau sowohl der Dachkonstruktion als auch der der Gläser musste bei schwierigen Wetterverhältnissen ausgeführt werden. „Wir haben alle Anschlüsse mehrfach überprüft“, berichtet Stoyke. Ob die Glaskonstruktion wasserdicht ist, wurde bei zwei Übungen der örtlichen Feuerwehr getestet.⇥ma ◊

Info & Kontakte

Oltmanns Metallbau GmbH

Friesoyther Straße 1

26676 Barßel

Tel. 04499 9241 0

www.oltmanns-metallbau.de

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