European Façade Summit

Ein Blick hinter die Fassade

Die Vorträge des zweitägigen Kongresses in Wien hatten die Themen nachhaltige und smarte Fassaden im Blick. Thomas Eschbacher, Büroleiter von Werner Sobek Wien, Lars Oberwinter von Plandata und Karl Stefan Dewald von Schüco gemeinsam mit Alexander Riemer von Alukönigstahl machten gleich zu Beginn aus unterschiedlicher Sicht ihre Standpunkte zu Planung, BIM-Beratung und Systemanbieter klar. Die Tagung widmete sich gezielt der ganzheitlichen Perspektive auf die Gebäudehülle.

Die unterschiedlichen Sichtweisen zu Beginn der Veranstaltung brachten von Anfang an die ganzheitliche Betrachtung zum Ausdruck, über deren Notwendigkeit sich die Vortragenden einig waren. Auch wollte man sich, wie der Gastgeber Frederik Lehner betonte, keineswegs zu stark auf ein Produkt versteifen und bot stattdessen Lösungen mit Vorhangfassaden, VHF, WDVS und Sandwichpaneelen gleichermaßen eine Bühne. Präsentiert wurde eine bunte Schau aus aktuellen Marktdaten zu Vorhangfassade und VHF, herausragenden Projektbeispielen zu Kreislaufwirtschaft, Building Integrated Photovoltaik, solarthermischen Fassadenelementen, CO2-armen Gläsern sowie multifunktionalen Sonnenschutzlösungen.

Reduce, Reuse, Recycle

Unter den Schlagworten „Reduce, Reuse, Recycle“ dominierten Trendthemen wie Kreislaufwirtschaft, Urban Mining und Dekarbonisierung sowohl die Einstiegsrunde als auch etliche weitere Beiträge. War die Baubranche einst von einem „Höher, Schneller, Weiter“ geprägt, so scheint nun das genaue Gegenteil der Fall und das birgt wohl nicht weniger Potenzial für Innovation. Dies beweist die Vielfalt der präsentierten Ansätze in den Vorträgen sowie die am Ende der Konferenz gekürten Preisträger des EFS Awards 2024. Ausgezeichnet wurde unter anderem das ganzheitliche Konzept zur CO2-Reduktion im Bauwesen „Carbon Control“ von Schüco, das von Karl Stefan Dewald auf dem European Façade Summit anschaulich präsentiert wurde.

Dekarbonisierungs-Rundumservice

In einer Unendlichkeitsschleife werden vier Phasen, in denen die Dekarbonisierung vorangetrieben wird, dargestellt: design to decarb, build to decarb, operate to decarb und recycle to decarb. Im Rahmen des Gesamtkonzepts Carbon Control bietet Schüco nach einem modularen Baukastenprinzip Services für jede dieser Phasen an. Als entscheidend sieht Dewald die Nutzung von bisher nicht aktivierten Potenzialen in einer Fassade. Eine ganzheitliche Betrachtung von Structural Glazing müsse etwa auch die tragende Wirkung von Silikonfugen miteinbeziehen, natürlich unter Berücksichtigung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen, „aber wenn keiner anfängt, diesen Weg zu beschreiten, werden wir nie zum Ziel kommen, das im Rahmen des Green Deals gesetzt wurde“, so Dewald und weiter: „Ich bin der Meinung, dass die Dekarbonisierung des Bauens nur gelingen kann, indem wir diese Reserven nutzen und noch präzisere Bemessungsmethoden entwickeln.“ Überzeugend sind auf jeden Fall die in diesem Zusammenhang genannten Zahlen. Dewald zufolge ließen sich auf diesem Wege 25 - 40 % Materialeinsparung bei gleicher Leistungsfähigkeit erreichen.

Werden zudem Aluminiumprofilsysteme aus Low Carbon Aluminium (LC) oder Ultra Low Carbon Aluminium (ULC) und Low Carbon Glas verwendet, wie es etwa von Saint Gobain zum Einsatz kommt, lässt sich das Ergebnis noch weiter steigern. Selbst bei 100 % Vollverglasung ließe sich eine Reduktion des CO2 in der gesamten Fassade um 44 % erreichen.

„Das lässt sich alles schon so umsetzen“, so Dewald, „die Frage bisher ist nur: Wie kommen wir damit durch die Genehmigungsverfahren?“ Eine wichtige Rolle spiele auch der Recyclinganteil. Aufgrund der Aluminiumgüten, die in der Baubranche erforderlich sind, sei dieser immer noch sehr gering. Das ist nach Ansicht von Dewald äußerst problematisch. Ein großer Teil der Recyclate fließt aktuell in die gut zahlende Automobilindustrie und ist somit in der weiteren Folge für die Baubranche nicht mehr verwendbar.

Aus dem zur Verfügung stehenden Schrott werden aktuell drei verschiedene Aluminiumgüten hergestellt, wobei das heutige Standardaluminium mit einem Wert von 7,1 laut Dewald schon in wenigen Jahren komplett wegfallen wird zugunsten von Low Carbon mit einem Wert von 4,47 kgCO2/kg Aluminium und Ultra Low Carbon Aluminium mit einem Anteil von End-of-life Aluminium von 75 %. Neben dem U-Wert ist der CO2-Wert zur fixen Währung in der Baubranche geworden. Um diesen jederzeit transparent zu machen, stellt Schüco als Teil seiner Carbon-Control-Gesamtstrategie digitale Tools zur Verfügung, die erstmalig zu jeder Zeit im Planungs- und Bauprozess die CO2-Werte der eingesetzten Materialien und konstruktiven Elemente auf Knopfdruck abrufbar machen.

Green BIM

Mit dem Stichwort Internet of Façades (IoF) spannte Dewald den Bogen zu einem weiteren Thema, auf welches die gewachsenen Ansprüche an die Nachhaltigkeit und neuerdings auch die erforderliche Nachweiserbringung wie ein Katalysator wirkt. Indem jedes Fassadenelement eines Gebäudes eine eigene digitale Identität (IoF-ID) erhält, deren Daten ein Element-Leben lang verfügbar sind, wird Bauherren, Investoren und Facility-Managern durch mehr Überblick, mehr Information und mehr Kontrolle der Arbeitsalltag erheblich erleichtert und ein erster Schritt in Richtung digitale Gebäudehülle getätigt.

Ab dem 1. Januar 2027 sind Bauprozess-Verantwortliche verpflichtet, das „Lebenszyklus-Treibhauspotenzial“ für Gebäude anhand des GWP (Global Warming Potential)-Wert zu berechnen und offenzulegen. Diese Auflage gilt zunächst für Neubauten mit mehr als 2.000 m² Nutzfläche, ab 2030 für alle Neubauten. Dies führt schon jetzt zu einer deutlich gestiegenen Nachfrage bei BIM-Berater Lars Oberwinter, insbesondere auch von Investoren. Oberwinter und seine Mitarbeiter bei Plandata beschäftigen sich ausschließlich mit Digitalisierungsfragen im Bauwesen.

Die Tiefe der Nachweisführung, die neuerdings im Zuge der EU-Taxonomie vorgeschrieben wird, ist ohne digitale Modelle nämlich so gut wie nicht mehr machbar, bzw. die vielen Stunden vor Excel-Listen wären wenig wirtschaftlich. Die erforderliche Nachweistiefe hat auch einen fundamentalen Einfluss auf die Tiefe der Daten, die in der Planung und Ausführung erzeugt werden. Dass sich die Rolle von Planern dadurch deutlich ändern wird, legt auch die weitere Ausführung Oberwinters nahe, dem zufolge nicht über Digitalisierung im Bauprozess gesprochen werden könne, ohne auch KI miteinzubeziehen.

Derzeit komme es gerade zu einer Verheiratung von verschiedenen Werkzeugwelten und Intelligenzen, etwa Algorithm Aided Design mit BIM, wobei Generative Design und Optioneering eine immer bedeutendere Rolle spielen würden.

Herausforderung Datenlast

Eine große Herausforderung stellen laut Oberwinter die großen Datenmengen von BIM-Objekten dar. Wer sich als Hersteller schon die Mühe gemacht hat, seine Produkte als BIM-Objekte auf Plattformen zur Verfügung zu stellen, weiß, mit welchem Aufwand deren Erstellung verbunden ist. Das Fehlen einheitlicher digitaler Standards macht die Sache nicht einfacher. Außerdem entwickeln sich Produktpaletten von Herstellern laufend weiter und die hochgeladenen Objekte, in die viel Zeit und Geld investiert wurde, sind schnell überholt.

Hier gilt es abzuwägen, wie man mit möglichst abstrakter Geometrie möglichst viel erreichen kann. Eine Lösung wäre laut Oberwinter ein generisches Modell, dem relevante Informationen nicht in Form von Geometrie, sondern als alphanumerische Daten sogenannte Attribute zugeordnet werden. Eine vollwertige Lösung gäbe es aktuell noch nicht, damit wäre jedoch datentechnisch schon viel geschafft.

www.facade-summit.eu

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