Neues zur Absturzsicherung im Fokus

Glasdicke zukünftig nach DIN (5)

Die Glasdimensionierung wird in Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt. In der fünften Folge seines Beitrages befasst sich unser Fachautor mit Teil 4 der Normenfamilie DIN 18008, der im Oktober 2011 als Entwurf veröffentlicht wurde.

Mit dem Teil 4 zu absturzsichernden Verglasungen begegnen uns in weiten Bereichen der neuen Norm die Inhalte der zuvor hierfür bestehenden und durchaus bewährten bauaufsichtlichen Technischen Regeln (TRAV). Anders als diese gilt Teil 4 der Normenfamilie DIN 18008 aber nicht nur für Vertikalverglasungen, sondern auch für zur Angriffseite geneigte Horizontalverglasungen, die Personen auf Verkehrsflächen gegen seitlichen Ab­sturz sichern. Dazu sind auch punktgelagerte Verglasungen erfasst und insoweit geregelt.  
Allgemeines. Die Definition und Einteilung der Kategorien A, B, C1, C2 und C3 wurde weitgehend unverändert aus der TRAV übernommen. In der Kategorie A sind Punkthal­ter mög­lich, und in der Kategorie B kann zusätzlich der obere Handlauf mit Tellerhaltern nach Teil 3 der Norm an der Scheibe selbst befestigt werden. Bei den Bauprodukten wird ESG-H verlangt, wenn sich dies aus den Teilen 1 bis 3 der Norm ergibt. Bei VSG darf der Dickenunterschied innerhalb einer Glastafel maximal um den Fak­­tor 1,7 differieren. Als verwendbare Glasarten müssen in der Kategorie A Einfachvergla­sungen aus VSG bestehen; bei Mehrscheiben-Isolierglas darf für die stoßzugewandte An­griff­sei­te nur VSG, ESG oder Verbundglas (VG) verwendet werden, wobei generell eine Scheibe aus VSG bestehen muss. Bei Isolierglas mit ESG auf der Angriffseite dürfen unmittelbar hinter dieser Scheibe grob brechende Glasarten - beispielsweise Floatglas - enthalten sein, wenn beim Pendelschlagversuch kein Glasbruch der angriffseitigen ESG-Scheibe auftritt.
Für die Kategorie B kommt nur VSG in Betracht.
Auch in der Kategorie C sind Einfachverglasungen in VSG auszuführen mit der Ausnahme, dass allseitig linienförmig gelagerte Einfachverglasungen der Kategorien C1 und C2 ausge­führt werden dürfen (wie gehabt). Bei Mehrscheiben-Isolierverglasungen gilt im Wesentlichen das Gleiche wie in der Kategorie A.
 
Anwendungsbedingungen. Für die Kategorien A und C wird ein Schutz von zugänglichen Kanten verlangt. Dies kann durch die Lagerung beziehungsweise Anordnung oder auch durch ausreichend wirksame Kantenschutz-Profile erreicht werden. Bei VSG mit Tellerhaltern darf auf einen Kantenschutz verzichtet werden. Für metallische Profile nach Anhang E ist der Nachweis gegen einen „harten Stoß“ bereits geführt.
 
Nachweise. Es ist jeweils der Grenzzustand der Tragfähigkeit für statische und für stoßartige Einwirkun­gen nachzuweisen. Dabei geht es um die ausreichende Tragfähigkeit von Glas und Haltekonstruktion unter planmäßigen Lasten, wobei horizontale Nutzlasten (Menschenge­drän­ge) nicht mit anderen statischen Einwirkungen überlagert werden müssen. In der Kategorie B ist außer dem Nachweis des planmäßigen Zustandes der Glasbrüstungen auch der Ausfall eines beliebigen Elementes anzunehmen. Je nach Kantenschutz sind zusätzliche Bedingungen zu erfüllen.
Für stoßartige Einwirkungen ist die gesamte Verglasungskonstruktion, bestehend aus Glas­auf­bau und unmittelbarer Befestigung, nachzuweisen. Dies kann experimentell, durch Einhaltung konstruktiver Vorgaben oder auch rechnerisch geschehen. Details dazu sind in den verschiedenen Anhängen der Norm zu finden.
Weiterhin nicht nachgewiesen werden muss die Stoßsicherheit von Scheiben, deren kleinste lichte Öffnungsweite zwischen hinreichend tragfähigen Bauteilen – zum Beispiel massive Gebäudeteile, Pfosten, Riegel, vorgesetzte Kniestäbe - höchstens 300 mm für die Kategorie A und maximal 500 mm in den Kategorien B und C beträgt.  
Anhang A. In dem normativen Anhang A wird der „Nachweis der Stoßsicherheit von Verglasungskons­truk­ti­onen (Glas und Lagerung) durch Bauteilversuch“ beschrieben. Dazu gehören die detaillierte Beschreibung des 50 kg schweren Zwillingsreifens als Stoßkörper, die – unverändert gebliebenen – Fallhöhen und die Auftreffbereiche dieses Körpers in den einzelnen Kategorien. Die Pendel­schlagprüfung ist bestanden, wenn die Verglasungen weder durchschlagen noch aus der Verankerung gerissen werden und keine Bruchstücke oder Teile herabfallen, die Verkehrsflächen gefährden können. VSG darf nach der Prüfung keine Risse mit einer Öffnungsweite von mehr als 76 mm aufweisen. Monolithische Außenscheiben von Isolierverglasungen dürfen bei den Stoßversuchen nicht brechen. In der Kategorie A muss bei Isolierverglasungen, deren stoßzugewandte Seite aus ESG besteht, die (äußere) VSG-Scheibe allein einer Pen­del­fall­höhe von 450 mm standhalten, auch, wenn die ESG-Scheibe die 900-mm-Pendel­schlä­ge ohne Bruch überstanden hat.
 
Anhang B. Der ebenfalls normative Anhang B befasst sich mit Konstruktionen, deren Stoßsicherheit durch Versuche erbracht ist. Zunächst werden für linienförmig gelagerte Verglasungen der Kategorien A und C einige „Randbedingungen“ formuliert, die so schon in der TRAV ge­standen haben: Die Verglasun­gen müssen eben sein und dürfen von der Rechteckform abweichen, wenn der spitze Winkel der Scheibe mindestens 49° hat. Der Glaseinstand muss mindestens 12 mm und bei zweiseitiger Lagerung mindestens 18 mm (was mit übli­chen Glasfalzmaßen nicht umzuset­zen ist) betragen. Die Scheiben dürfen nicht durch Bohrungen oder Ausschnitte geschwächt sein. Die in der nur leicht angepassten Tabelle 1 aufgelisteten Glas- und Foliendicken dürfen über­schrit­ten werden. Es darf anstelle von VSG aus FG (Floatglas) auch VSG aus TVG – bei gleicher Dicke – verwendet werden. Eine Oberflächenbehandlung, die die Festigkeit von Glasscheiben verän­dert, zum Beispiel eine Emaillierung, darf nicht eingesetzt werden. Es folgt dann – sehr ähnlich wie bereits in der TRAV – eine Tabelle, die 30 Glasaufbauten mit Einfachglas oder 2-fach-Isolierglas für die Kategorien A (nur allseitige Lagerung) und C (zweisei­tige und allseitige Lagerung) enthält. In einem Zusatz werden 3-fach-Isoliergläser der Art freigege­ben, dass bei ESG auf der Angriffseite eine mittlere Scheibe aus ESG oder ESG-H ohne weitere Nachweisführung ergänzt werden darf.
Hierzu eine kritische Anmerkung des Autors: Ein auf die Zukunft gerichtetes neues Regelwerk, das die derzeitige Marktsituation mit etwa 50 Prozent 3-fach-Wärmedämmglas nur über einen verschämten Satz und teure ESG-Scheiben zulässt, kann an dieser Stelle nicht ernst genommen werden. Es dürfte dem DIN-Nor­menausschuss nicht entgangen sein, dass es zwischenzeitlich eine Vielzahl von allge­mei­nen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen (abP) zu absturzsichernden 3-fach-Wärme­dämm­gläsern gibt, die mit einer normalen Floatglasscheibe in der Mitte funktionieren, und das teilweise bei nur 3-seiti­ger Lagerung. Auch wurden die maßlichen Inkonsequenzen der TRAV-Tabelle nicht beseitigt, obwohl dies zum Beispiel nach den genannten abP kein Problem sein sollte. Wenn etwa in der Kategorie A ab 300 mm lichtem Glasmaß eine pendelschlagsichere Scheibe einzuset­zen ist, sollte dafür ein praktikabler Glasaufbau in der Norm genannt werden. Es ist zu hof­fen, dass in den Einspruchsberatungen hier noch sinnvolle Änderungen vorgenommen wer­den – ermutigende Signale in diese Richtung sind vorhanden. Immerhin hat man bei den „punktförmig gelagerten Verglasungen der Kategorien A und C“ eine deutliche Erweiterung vorgenommen. Zwar müssen punktförmig gelagerte Absturz-Scheiben nach Norm durch Bohrungen geführte Tellerhalter haben, womit Isolierglas schon einmal ausgeschlossen ist. Die zum Einsatz kommenden ebenen VSG-Scheiben benötigen eine mindestens 1,52 mm dicke PVB-Folie. Die im VSG zu verarbeitenden ESG- oder TVG-Scheiben dürfen zum Beispiel wegen der Festigkeitsminderung keine Emaillierung und keine weiteren Bohrungen oder Ausschnitte haben. Bis zu einem Abstand von 1200 mm reichen Tellerdurchmesser von 50 mm; bei größeren Abständen, die beispielsweise bei VSG aus 2 x 10 mm ESG in der Kategorie A 1600 und 1800 mm betragen dürfen, sind Teller mit 70 mm Durchmesser zu verwenden (zu Maßen und Anordnung der Tellerhalter siehe die Abbildung auf Seite xx - sie hat große Ähnlichkeit zu „Freistellungen“, wie sie in Baden-Württemberg bereits 2003 veröffentlicht und angewendet wurden).
In der Kategorie B mit am unteren Rand linienförmig eingespannten und durch Bohrungen verschraubten Verglasungen hat sich nicht wirklich etwas geändert. Ohne weitere Nachwei­se ist VSG zulässig, das mindestens aus 2 x 10 mm ESG oder TVG mit mindes­tens 1,52 mm PVB-Folie besteht und auch hier nicht emailliert sein darf. Dabei dürfen die Scheiben eine Breite zwischen 500 und 2000 mm haben. Die freie Kragarmlänge darf maximal 1100 mm betragen – ein Maß, das alle vorkommenden Geländerhöhen abdeckt. Zudem sind exemplarisch Konstruktionsmerkmale für den Handlauf und für die untere Einspannung angegeben.
 
Anhang C. Der ebenfalls normative Anhang C zum Nachweis der Stoßsicherheit von Glasaufbauten durch Berechnung nimmt breiten Raum ein. Dazu werden die anzusetzende Basisenergie und die Formel für die Bemes­sungs­werte des Widerstandes sowie kmod-Faktoren für  ESG, TVG und FG angegeben. Bei Isolierglas ist die Außenscheibe für 50 Prozent der Basisenergie auszulegen. Weitere im Schei­ben­zwischenraum angeordnete Scheiben müssen nicht nachgewiesen werden. Bei VSG darf „voller Schubverbund“ angesetzt werden. Für zwei- oder vierseitig linienförmig gelagerte Scheiben kann das vereinfachte Nachweisverfahren angewendet werden, wozu weitere Formeln angegeben und Diagramme mit Stoßübertragungsfaktoren enthalten sind. Für zwei-, drei- oder vierseitig linienförmig gelagerte Verglasungen kann auch eine „volldy­na­mische transiente Simulation des Stoßvorganges“ angewendet werden.  
Anhang D. Der normative Anhang D beschäftigt sich mit dem Nachweis der Stoßsicherheit von Lagerungskonstruktionen. Wie bereits in der TRAV sind auch in DIN 18008-4 Anforderungen an die Glashalterungen ge­stellt, da die sicherste Scheibe wirkungslos ist, wenn ihre Anbindung an Rahmen oder Halter nicht adäquat den Einwirkungen auf die Scheibe erfolgt. Der Nachweis kann für linienförmige Lagerungskonstruktionen rechnerisch erfolgen, wenn dies auf der Basis technischer Baube­stimmungen möglich ist. Damit ist diese Möglichkeit der Nachweisführung auf Verschraubun­gen in Metall begrenzt. Andere Rahmensysteme dürfen als ausreichend tragfähig angesehen werden, wenn der stoßbeanspruchte Glasfalzanschlag einer statischen Ersatzlast von 10 kN/m versuchstechnisch standhält.
Punkthalter sind nach DIN 18008-3 versuchstechnisch nachzuweisen. Dabei muss die cha­rakteristische Tragkraft jeder Glashalterung 2,8 kN betragen.
 
Anhang E. Der Nachweis eines wirksamen Kantenschutzes durch Bauteilversuch (normativ) muss durch einen „harten Stoß“ mit einer 63,5 mm großen und 1 kg schweren Stahlkugel nachgewiesen werden, falls der Kantenschutz von absturzsichernden Scheiben nicht bereits konstruktiv gelöst ist. Dabei ist vor jedem Pendelschlagversuch ein harter Stoß auf die Kante mit einer Aufprallenergie von 10 Nm auszuführen.  
Anhang F. Nach dem normativen Anhang F ist ohne weiteren Nachweis ein ausreichender Kantenschutz dann gegeben, wenn ein min­des­tens 2 mm dickes metallisches U-Profil die Glaskante umgreift und dabei einen Glasein­stand von mindestens 12 mm gewährleistet. Zudem muss ein an jeder Stelle mindestens 3 mm breites Spaltmaß zwischen Profil und Scheibe mit einem dauerelastischen Dichtstoff der Gruppe E nach DIN 18545-2 verfüllt sein.
Wird fortgesetzt
 
Im sechsten Teil seines Beitrages (erscheint in der nächsten Ausgabe von metallbau) beschäftigt sich unser Fachautor mit dem neuen Entwurf zu DIN 18008-5 „Zusatzanforderungen an begehbare Verglasungen“.

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