Österreich bietet Lehre mit Matura

Durch die lange gemeinsame Geschichte von Deutschland und Österreich sind die Berufsausbildungssysteme beider Länder sehr ähnlich. Auch in Österreich findet die Berufsausbildung überwiegend dual statt, in Betrieb und Berufsschule, doch nicht nur. Und die für die Berufsausbildung zuständigen Institutionen sind um die Fortentwicklung des Ausbildungssystems bemüht. Der eingeschlagene Weg kann dem Berufsbildungssystem in Deutschland wertvolle Anregungen geben - beispielsweise was das Angebot "Lehre und Matura" betrifft. Der Münchner Studiendirektor Josef Moos berichtet.

In Österreich lernen ca. 60 % eines Jahrgangs einen industriellen oder handwerklichen Beruf. Zuständig für die Berufsausbildung sind das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend und die Wirtschaftskammern — das sind Institutionen, vergleichbar mit Industrie- und Handelskammern beziehungsweise Handwerkskammern in Deutschland. Es gibt ca. 200 Ausbildungsberufe (Stand 2014), die 16 Fachbereichen zugeordnet werden: die Metallbauberufe dem Bereich Metalltechnik und Maschinenbau. Wie in Deutschland herrscht auch in Österreich eine Schulpflicht bis zur 9. Jahrgangsstufe, doch dann eröffnen sich drei unterschiedliche Wege in einen Ausbildungsberuf:

- duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule mit einer Lehrabschlussprüfung (LAP)

- berufsbildende mittlere Schule (BMS), z.B. Fachschule, mit Lehrabschlussprüfung (LAP)

- berufsbildende höhere Schule, z.B. HTL (= Höhere Technische Lehranstalt), mit Lehrabschlussprüfung und gleichzeitiger Studienberechtigung an Hochschulen und Universitäten

Duale Ausbildung

In Österreich entscheiden sich gut 80 % der Auszubildenden im Bereich Metalltechnik für die duale Ausbildung. Voraussetzung, dass ein Betrieb ausbilden darf, ist ein Antrag auf Feststellung der Eignung zur Lehrlingsausbildung. Sie ist dann gegeben, wenn der Ausbildungsbetrieb über eine für die Ausbildung geeignete Person mit absolviertem Ausbilderkurs oder bestandener Ausbilderprüfung verfügt. Dabei wirken die Arbeiterkammern mit, eine Interessensvertretung der Arbeitnehmer, die es in Deutschland so nicht gibt. Die Auszubildenden besuchen begleitend die Berufsschule an einem Tag pro Woche, meist aber im Blockmodell in den sogenannten Lehrgangsschulen mit neun Wochen Schule über das Ausbildungsjahr verteilt. Die Ausbildung schließt mit einer Lehrabschlussprüfung ab, in der sowohl praktische Fertigkeiten als auch Theorie geprüft werden. Prüfende Stellen sind die Wirtschaftskammern, die Innungen wirken aber als Fachorganisationen mit. Im Unterschied zum deutschen System sind die Leistungen der Berufsschule als theoretische Prüfung anerkannt. Soweit scheinen wenige Unterschiede zum deutschen Ausbildungssystem erkennbar zu sein, doch diese liegen in der Organisation und den sich anschließenden Möglichkeiten: Die Berufsausbildung im Metallbereich und damit auch im Metall- und Stahlbau ist modularisiert. Nach bestandener Berufsausbildung kann die Berufsreifeprüfung abgelegt werden, die einen direkten Hochschulzugang erlaubt.

Modularisierung

Um die Attraktivität einer Berufsausbildung für Jugendliche und Betriebe zu erhalten und weiter auszubauen, müssen allerorts die Ausbildungsinhalte regelmäßig den aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Als zukunftsweisende Anpassung hat man sich für eine Abkehr vom traditionellen Ausbildungsberuf, z.B. des Metallbauers, hin zu einer berufsfeldbreiten Grundbildung für Metallberufe mit anschließender Spezialisierung entschieden. Die Republik Österreich hat mit der Ausbildungsordnung vom April 2011 dazu die rechtlichen Voraussetzungen für diese Modularisierung der Metallberufe geschaffen, zu der auch die Metallbauberufe zählen. Der Modullehrberuf Metalltechnik setzt sich aus drei aufeinander aufbauenden Bausteinen zusammen:

- Das Grundmodul erstreckt sich über zwei Jahre und vermittelt hier die Kenntnisse und Fertigkeiten, die den grundlegenden Tätigkeiten mehrerer Metallberufe entsprechen.

- Ein darauf aufbauendes Hauptmodul dauert 1,5 Jahre und beinhaltet jene über die gemeinsamen Grundlagen hinausgehenden Kenntnisse und Fertigkeiten, die die typische Qualifikation eines Lehrberufes oder mehrerer Lehrberufe eines bestimmten Berufsbereiches ausmachen. Im Metallbereich sind acht Hauptmodule möglich.

- Im Anschluss an das erfolgreiche Absolvieren des Grund- sowie eines individuell gewählten Hauptmoduls – also nach 3,5 Jahren – kann der Auszubildende eine Lehrabschlussprüfung ablegen; er kann jedoch auch ein weiteres Haupt- oder Spezialmodul wählen, sodass er die Berufsausbildung dann nach vier Jahren abschließt.

- Ein Spezialmodul erstreckt sich über ein halbes Jahr und soll die vertieften Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, welche den speziellen Produktionsweisen und/oder Dienstleistungen entsprechen — im Metallbau beispielsweise das Entwerfen von Konstruktionen.

Im Metallbau ist die vierjährige Ausbildung die Regel. Die Wahl des Haupt- und des Spezialmoduls wird natürlich vom Tätigkeitsbereich und der Auftragsstruktur des Ausbildungsbetriebs entscheidend beeinflusst. Die Auszubildenden haben jedoch auch die Möglichkeit, sich für einen Ausbildungsverbund zu entscheiden, der es ihnen ermöglicht, ihre Ausbildung in zwei oder mehreren Betrieben zu absolvieren: so beispielsweise in einer Kunstschmiede und einem Stahlbaubetrieb. Mit der Modularisierung sind auch in Österreich die früher üblichen Berufsbezeichnungen verschwunden:

- Metallbauer und Stahlbauschlosser sind jetzt „Metalltechniker“ (ca. 6.500 Azubis) mit dem Zusatz „Stahlbautechniker“ oder „Metall- und Blechtechniker“; verfügen sie zusätzlich über ein
Spezialmodul, so dürfen sie sich z.B. „Konstruktionstechniker“ nennen.

- Schmiede werden nun „Metalltechniker“ mit dem Zusatz „Schmiedetechniker“ genannt; haben sie auch ein Spezial-modul absolviert, so dürfen sie den Zusatz „Designtechniker“ verwenden.

Mit der Modularisierung der gesamten Metalltechnik streben Staat und Wirtschaftskammern mehrere Ziele an:

- Durch die sinnvolle Zusammenführung von Lehrberufen mit großen inhaltlichen Überschneidungen soll die Übersichtlichkeit in der Lehrberufslandschaft verbessert werden.

- Es sollen auch die Betriebe weiterhin ausbilden können, die durch die zunehmende Spezialisierung oft nicht mehr in der Lage sind, das gesamte Berufsbild eines Lehrberufs alter Prägung zu vermitteln.

- Durch die Möglichkeit, Schwerpunkte zu setzen und Fertigkeiten zu vertiefen, soll das Ausbildungsangebot flexibler gestaltet und die Zahl potenzieller Lehrbetriebe erhöht werden.

- Ausbildungsinhalte, die den Qualifikationserfordernissen einer Branche entsprechen, können durch den Austausch/die Ergänzung z.B. von Spezialmodulen rascher in die Ausbildung integriert werden. So kann mehr Flexibilität und Aktualität in den Ausbildungsordnungen erreicht werden.

- Durch die breite Basis des Grundmoduls kann die berufliche Mobilität der Jugendlichen gesteigert werden. Gleichzeitig können sie ihre Ausbildung durch Spezialisierungs- und Kombinationsmöglichkeiten in weiteren Lehrbetrieben flexibler gestalten.

- Es soll Jugendlichen ermöglicht werden, zwei Metallbauberufe bzw. Fachrichtungen zu erwerben, wenn nach Grund- und Hauptmodul ein weiteres verkürztes Haupt- statt eines Spezialmoduls gewählt wird, z.B. Stahlbau- und Schweißechnik. Die Lehrzeit darf aber vier Jahre nicht überschreiten.

Berufsreifeprüfung – Lehre mit Matura

Diese österreichische Besonderheit, auch Berufsmatura genannt, erlaubt jungen Menschen, unmittelbar nach einer Berufsausbildung ein Studium an einer Hochschule zu beginnen − ohne den Umweg über eine Fach- oder Berufsoberschule. Die Berufsreifeprüfung umfasst die vier Teilprüfungen Deutsch, Mathematik, eine Fremdsprache und eine Fachbereichsprüfung, entsprechend dem Berufsfeld des Lehrlings, z.B. Schmiede- oder Metallbau- und Blech- oder Stahlbautechnik. Wer die Vorbereitung zur Matura abbricht, gefährdet deswegen nicht seine Lehre. Die erste Maturaprüfung muss der Lehrling vor dem Lehrabschluss antreten, die Matura muss spätestens bis fünf Jahre nach dem Lehrabschluss bestanden sein.
Die Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung erfolgt in Vorbereitungskursen, die von Erwachsenenbildungseinrichtungen und Berufsschulen angeboten werden, und das kostenlos. Diese Möglichkeit eines Hochschulzugangs ohne traditionelle gymnasiale Bildung räumt einer Berufsausbildung einen hohen Stellenwert ein und erkennt ihren Wert als „Reifeprüfung“ für die Studierfähigkeit an, ein mutiger Schritt, der in Deutschland trotz der inzwischen größeren Durchlässigkeit des Bildungssystems nicht gegangen wurde.

Berufsbildende Mittlere Schule (BMS)

Die Fachschulen in Österreich entsprechen den Berufsfachschulen, die in Deutschland im Metallbaubereich selten sind und meist nur den Mangel an Lehrstellen kompensieren sollen. In Österreich erwerben die Lehrlinge die gleichen Kenntnisse und Fertigkeiten wie in einer dualen Ausbildung und legen die gleiche Lehrabschlussprüfung ab. Für den Metallbau gibt es solche über das ganze Land verteilt, von Dornbirn über Innsbruck, Hallein, Steyr bis Mödling. Sie haben in Spezialbereichen, wie der Kunstschmiede in Steyr, eine lange Tradition und genießen hohes Ansehen, entstanden aber oft auch auf Drängen der Wirtschaft, denn die Absolventen wurden dort schon vor der Modularisierung der dualen Ausbildung sehr breit in Praxis und Theorie ausgebildet. Und den Wert einer breiten Ausbildung wussten und wissen auch heute sowohl die großen Metall- und Stahlbaubetriebe als auch die sehr kleinen Werkstätten zu schätzen, die das ländliche Metallbau- und Schmiedehandwerk in Österreich noch heute prägen. So beurteilt der Absolvent von 1998 der Fachschule in Steyr, Hans Neuschmid jun. aus Erl in Tirol, seine Ausbildung an der BMS als sehr wertvoll und umfassend, mehr als das im heimischen Kleinbetrieb möglich gewesen wäre. Die anschließende Meisterprüfung, sie entspricht in Inhalten und Anforderungen weitgehend der in Deutschland, konnte er dank der soliden Grundlagen aus der BMS mit sehr gutem Erfolg ablegen.

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