Nürnberg – U-Bahnstation

Auf der Rolltreppe unterm Glasdach

Viele Menschen mögen U-Bahnhöfe nicht so gerne. Mit dem Untergrund verbinden sie stickige Luft und neongrelles Licht. Der U-Bahnhof am Nürnberger Kaulbachplatz hat mit seinen Glasdächern zumindest einen einladenden Eingang. Über den Rolltreppen wölbt sich eine recht aufwändige Glaskonstruktion. Das Objekt mit einem Auftragsvolumen von ca. 800.000 Euro hat Metallbau Löhner in Naila ausgeführt. Zwischen Planungsstart und in Betriebnahme lagen sieben Jahre.

Insgesamt drei Baukörper aus Glas, Beton und Edelstahl führen am Nürnberger Kaulbachplatz in den Schacht der U-Bahnhaltestelle: zwei Rolltreppenabgänge und ein Aufzugsschacht. Mit ihren amorphen Formen gepaart mit zeitgemäßen Materialien fallen sie neben den umliegenden Gründerzeithäusern sofort auf. Vorübergehende Passanten haben das Objekt immer wieder als landendes Ufo bezeichnet, wie Metallbaumeister Matthias Löhner berichtet.

Die verantwortlichen Architekten Haid + Partner haben mit ihrem Entwurf auf fußgängerfreundlichen Komfort gesetzt – besonders in Bezug auf Größe, Licht und Transparenz. So sehen alle Abgänge aus wie überdimensionierte Rolltreppengeländer mit ihren abgerundeten, perforierten Betonwangen. Sie sind etwa 15 Meter lang und mit ca. 4,50 Meter Abstand zwischen den Wänden, die den Eingang markieren.

Das leicht und locker wirkende Glasdach erforderte handwerkliche Höchstleistungen von Löhner, vom Glashersteller glaströsch und vom Statiker Ingenieurbüro Goetz + Neun in Nürnberg. Den sanften Übergang zwischen oben und unten, also von hell nach dunkel, verdankt der Bau sowohl speziellen Tages- und Kunstlichtführungen als auch der Konstruktion, die alle Ebenen miteinander verbindet. Um den U-Bahnhof in seiner direkten Umgebung, dem sogenannten „Malerviertel“ zu verorten, traf der Verbund Museen der Stadt Nürnberg eine Auswahl an Gemälden regionaler Maler, die für den Fahrgast im Gleisbereich zu sehen sind. Als Strukturmatrizen in den Sichtbeton gegossen, erscheinen sie je nach Lichteinfall in unterschiedlicher Intensität.

Aufwändige Dachkonstruktion

Die Besonderheit der handwerklichen Leistung bestand in der Konstruktionsweise des Glasdachs. Für Treppenabgänge und Aufzug wurden Sanco Lamex Verbundsicherheitsgläser (VSG) von glaströsch eingesetzt. Die Glasschwerter haben als Träger der Glasdachscheiben aufgrund der amorphen Form der Betonwangen und damit des Dachverlaufs einen ständig wechselnden Neigungswinkel. Erschwerend kam hinzu, dass dieser Neigungswinkel in einem unüblichen Seitenverhältnis von 15:1 aufgeführt werden musste und bis dato nur maximale Neigungswinkel im Verhältnis 10:1 bekannt waren. Eine Abspannkonstruktion aus Edelstahlzugstangen begrenzt die Kippwirkung der filigranen Glasschwerter und stabilisiert sie in ihrer Ausrichtung. Für eine millimetergenaue Anpassung wurde das glaströsch-System der Swisswall-Punkthalter weiterentwickelt und mit einem verstellbaren Gewinde versehen. Die abgewinkelten Punkthalter, die waagrecht mit dem Glasdach – einer Zweifachverglasung VSG 22/2 – und senkrecht mit den Glasschwertern – einer Vierfachverglasung VSG 36/4 – verbunden sind, konnten nicht einfach im 90 °Grad-Winkel konstruiert werden, sondern jeder Punkthalter hat einen anderen Neigungswinkel benötigt. „Die Punkthalter, Verbindungsteile und Gelenke sind alles Sonderanfertigungen von glaströsch“, betont Löhner.

Etwas mehr Aufmerksamkeit als üblich beanspruchte auch die Verarbeitung empfindlicher Oberflächen wie beispielsweise die des glasperlengestrahlten Edelstahls. Der Edelstahlpunkthalter besteht generell aus einem Gewindebolzen mit Kugelkopf, der in einem Auflageteller eingebettet ist. Das Glaselement wird über einen Senk- bzw. Linsenkopf exakt und sicher gehalten. Der Halter ist flexibel und erlaubt eine Winkelstellung in sämtliche Richtungen. Alle wirkenden Kräfte werden nahezu spannungsfrei in die Unterkonstruktion abgeleitet. Auftreffende Dachflächenlasten des U-Bahnbauwerks werden ausschließlich über die oberen im Schwert sitzenden Punkthalter abgetragen. Die vollständige Konstruktion aus Dach und Glasschwerter mit sämtlichen Beschlägen bedurfte einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE). Sie basiert auf versuchstechnischen Untersuchungen, die das Labor für Stahl- und Leichtmetallbau der Hochschule München zum Großteil vor Ort in Nürnberg ausgeführt hat.

Versuche für ZiE vor Ort

„Die Experimente für die ZiE haben rund 60.000 Euro gekostet“, berichtet Löhner. Entscheidend für den Versuch war, dass die Glasschwerter mit einer Dicke von 45 mm im Abstand von 700 mm und die Punkthalter die Dachglasplatten mit einer Länge von 4.500 mm und einer Breite von 700 mm tragen. Wobei das Dach als begehbar ausgewiesen werden musste und den Anforderungen einer Überkopfverglasung genügen muss – hierzu zählt auch Vandalismus durch Hooligans. „Für den Versuch hatte der Statiker ein Programm mit einem exakten Ablauf ausgearbeitet, das vorgab, in welcher Zeit die Glasscheibe mit welchem Gewicht (Sandsäcke) belastet wurde“, so  der Unternehmer, er fährt fort: „Zusätzlich wurden zuerst die äußeren Schutzscheiben der Glastragschwerter mehrmals mit dem Hammer angeschlagen und vorgeschädigt, um zu prüfen, ob diese dann versagen. Später wurden sogar die weiteren Einzelscheiben angeschlagen. Ein plötzliches Versagen konnte nicht festgestellt werden.“ Schon vorab war klar, dass dieser extrem aufwändige Versuch nicht fehlschlagen darf. Wäre der Bauteilversuch wider erwarten missglückt, würde heute sehr wahrscheinlich statt Glas Blech die U-Bahn-Abgänge abdecken. Eine abschließende gutachterliche Bewertung aller Prüfungen erfolgte durch Prof. Dr.-Ing. Ömer Bucak.

Glasschwerter in Betonwand integriert

Eine weitere technisch anspruchsvolle Lösung stellt die Lagerung der Dachkonstruktion im Massivbau dar. Nachdem Architekten gerne Details verstecken, legten auch Haid + Partner Wert darauf, die Auflager nicht auf den Beton aufzuschrauben, sondern sie unsichtbar in der Wand einzulassen. Die Taschen hinter den Auflagern wurden so tief ausgeführt, dass die Schwerter durch seitliches Versetzen in die bereits fest im Straßenraum stehenden Betonwangen eingeführt werden konnten. Da der Beton einem anderen Ausdehnungsverhalten als das Glas unterliegt, ist die Lagerung nur auf einer Seite als Festlager ausgeführt. Auf der gegenüberliegenden Seite nehmen Loslager die Bewegungen auf und dienen als Ausgleich. „Das Einfädeln der Schwerter war Millimeterarbeit, nachdem die Scheiben in Lage gebracht waren, wurden Klötze aus Weich-PVC in die Auflager eingefädelt, damit sich die Scheiben nicht mehr verschieben.“ Der Metallbaumeister betont: „Die Auflager in der Betonwand wurden aus lasergeschnittenen Blechkantteilen gefertigt, die durch den hohen Vorfertigungsgrad dann nur noch in den verschiedenen Winkeln verschweißt werden mussten. Dadurch haben wir sowohl Zeit als auch Kosten gespart.“ Allerdings gelang dies nur durch eine enge Kooperation zwischen dem Beton- und dem Metallbauer. Weitere konstruktive Elemente wie die Führungsschienen für das Rolltor sind ebenfalls in den Betonwangen versteckt. Außerdem vermeiden auf der gesamten Länge eingebrachte Wasserabläufe aus Edelstahlrohren, dass entstehendes Kondenswasser in den Auflagernischen zur Delamination der VSG-Einheit und zu Verschmutzungen der Wände führt.

Fazit

Löhner bilanziert: „Die gesamten Konstruktionen waren eine einzige Sonderanfertigungen.“ Seine kalkulierte Marge hat sich im Laufe der Ausführung wegen Unwägbarkeiten reduziert, in erster Linie aber wegen der Winkel- und T-Profile aus Edelstahl, die zwar in einschlägigen Lieferantenhandbüchern geführt werden, aber in Kleinmengen nicht lieferbar waren. So mußten diese von der Firma Montanstahl in Oelde als lasergeschweißte Profile angefertigt werden. „Solche Standardprofile kosten im Handel normalerweise ca. 3.000 Euro, stattdessen hat die Herstellung nach Maß mit ca. 20.000 Euro zu Buche geschlagen“, so Löhner. Dass solche kostspieligen Materialien notwendig sind, war zum Zeitpunkt der Kalkulation nicht absehbar. Konstruktive, statische, ästhetische und zeitliche Vorgaben für den Bau der Überkopfverglasung ließen keine Alternative zu den individuell gefertigten Profilen in Edelstahl zu. Immerhin, der streng vorgegebene Kostenrahmen der Behörden konnte eingehalten werden. Was die Ansicht betrifft, ist Löhner von seinem Referenzobjekt nach wie vor begeistert: „Die U-Bahn-Eingänge wirken einfach bombig.“

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