Wasserturm von Wilhelmshaven

Originale Befensterung rekonstruiert

Der Rathausturm von Wilhelmshaven wird Wasserturm genannt, weil er einen 950 m³ großen Tank beherbergt. Dieser sicherte bis in die 1990er-Jahre hinein den Wasserdruck im Versorgungsnetz. Auch wenn diese Funktion heute nicht mehr erforderlich ist, so ist die „Burg am Meer“ seit fast einhundert Jahren eine unverkennbare Landmarke der Hafenstadt. Sie zu wahren, war GG/A Oda und Hannes Griesemann Architekten eine Herzensangelegenheit.

Im Jahr 1927 wurde der Baumeister Fritz Höger mit dem Neubau des Rathauses von Rüstringen beauftragt, das zugleich auch den städtischen Wasserwerken dienen sollte. Höger schuf einen monumentalen, etwa Hundert Meter langen Gebäuderiegel, aus dessen Mitte sich ein ca. 40 Meter hoher Wasserturm erhebt. Bis in die 1990er-Jahre hinein sicherte die „Burg am Meer“, wie die Einheimischen das Gebäude nannten, den notwendigen Versorgungsdruck im Trinkwassernetz.

Der Rathausturm wächst aus dem Eingangsportal über einer halbrunden Treppenanlage heraus; Lichtbänder und Stege an Turmfront und -rückseite deuten einen Stufengiebel an: Die zuunterst noch sieben vertikalen Lichtbänder reduzieren sich alle drei Stockwerke auf fünf, drei und zuletzt nur noch eines, das im achten Turmgeschoss ausläuft. Die zahlreichen Sprossenfenster waren ursprünglich mit gewölbten Scheiben ausgestattet und vermittelten damit das Bild einer Welle, die über die Fassade läuft. Bei einer Sanierung in den 1980er-Jahren wurden die filigranen Konstruktionen durch Kunststofffenster und plane Scheiben ersetzt – eine wenig sensible Gestaltung, die einzig und allein mit der seinerzeitigen Gutgläubigkeit an die Unverwüstbarkeit von Kunststoffen erklärt werden kann. Gleichzeitig wurden, vermutlich aus Unkenntnis, die Be- und Entlüftungsöffnungen, mit denen Höger eine Zwangslüftung im Bereich des Wassertanks konstruiert hatte, geschlossen. In der Folge verwitterte das Mauerwerk und auch die innere, tragende Eisenbetonkonstruktion wurde durch das dauerfeuchte Klima angegriffen.

GG/A, Griesemann & Griesemann Architekten überzeugten die Verantwortlichen der Stadt Wilhelmshaven davon, dass all diese Schäden mit vertretbarem Aufwand saniert werden könnten. Nach Berechnung der Eisenbetonkonstruktion unter Berücksichtigung des ausfachenden Mauerwerks war ein Versagen der Standsicherheit des Turms nicht zu befürchten.

Im Zuge der konventionellen Sanierung des geschädigten Betontragwerks und der Instandsetzung des Verblendmauerwerks wurden auch die Uhren aufgearbeitet sowie die Fenster der südlichen, dem Meer zugewandten Fassade ausgetauscht.

Für die originalgetreue Rekonstruktion der ursprünglichen Befensterung wählten die Architekten das Stahlprofilsystem Janisol Arte 2.0, das von „der sensiblen Profilierung und den Möglichkeiten der individuellen Farbgestaltung“, so Hannes Griesemann, ihren Vorstellungen am besten entsprach. Büthe & de Wall, Schortens, fertigte aus dem thermisch getrennten Stahlfenstersystem insgesamt 85 Drehflügel mit glasteilender Sprosse. Die Flügel haben überwiegend das Format 700 x 770 Millimeter; lediglich im Bereich der Ausstiege zur Uhr sind sie mit 700 x 1.130 Millimeter etwas höher. Verglast wurden sie mit eigens angefertigten Isolierglasscheiben, deren Außenseite circa 25 Millimeter tief konvex gewölbt ist, um die Optik der originalen Befensterung nachzubilden. Jeweils zwei Drehflügel bilden ein Element, das mit dem Rahmen 1.600 Millimeter (im Bereich der Ausstiege zur Uhr 2.000 Millimeter) hoch ist. Durch vertikale Addition dieser Elemente entstehen die Fensterbänder, die an der Fassade vor den Geschossdecken durchlaufen.

Für den Metallbauer, der zunächst ein Element mit zwei Öffnungsflügeln zur Bemusterung erstellt hatte, bestand die Herausforderung schließlich nicht in der Fertigung der Elemente, sondern – angesichts der räumlichen Verhältnisse im Inneren des Turms und des defekten Gerüstaufzugs – im Transport derselben zu ihrem jeweiligen Einbauort.

Die ersten vier Geschosse des Turms beherbergen nach wie vor Büros; hier befinden sich außerdem der Sitz des Bürgermeisters und der repräsentative Rathaussaal, der vor nunmehr zehn Jahren saniert worden ist. Im Turm selbst sind neben dem Wassertank auch Archivflächen untergebracht. Die weitere Nutzung des Turms ist noch offen – an konstruktiven Ideen indes mangelt es nicht. GG/A Griesemann & Griesemann Architekten können sich durchaus vorstellen, das Innere des Wasserbehälters zu einem Veranstaltungsraum umzubauen.

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