Österreich

Stahlbautag in Graz

Geschwungene Formen & steile Graphen

Was die Szene in den vergangenen beiden Jahren beschäftigte, lässt sich am besten mit geschwungenen Formen und steilen Graphen beschreiben. Diese zogen sich quer durch die Präsentation von imposanten Projekten, über rasante Preisentwicklungen bis hin zu dramatischen Klimakurven.

Professor Werner Sobek lieferte mit seinem Impulsvortrag einen fulminanten Auftakt. Nicht fehlen durfte dabei der Testturm für Hochgeschwindigkeitsaufzüge von Thyssen Krupp, der mittels aktiven Pendels wahlweise Windeinwirkungen zu dämpfen oder Wind- und Erdbebenwirkungen auf den Turm zu simulieren im Stande ist. Ein Programmierungsfehler kann bei den Tests schlimmstenfalls eine Selbstzerstörung des 3D-Turmes auslösen. Das wird aber sicher nicht der Grund sein, warum Sobek stets ein Flugticket nach Panama bei sich hat, wie er behauptet.

Reflektiert und ins rechte Licht gerückt wurde auch die vor zwei Jahren fertiggestellte „Eisenbahnbrücke“ in Linz. Eine doppelt spiegelverkehrte unechte Hängebrücke, die trotz ihres Namens (noch) keine Gleise führt und eigentlich allen Lehrsätzen des effizienten Stahleinsatzes widerspricht. Die Projektleiterin des ausführenden Stahlbauunternehmens MCE Barbara Stelzer empfand deshalb am Anfang gar ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Design von Architekt Marc Mimram, wie sie dem Fachmagazin metallbau bei einem Objektreport gestanden hatte. Der Stahlbauer MCE hatte nach Auftragserteilung nachgefragt, ob man die Brücke um eine halbe Pfeilerachse verschieben könne, da sich damit eine deutliche Materialeinsparung erzielen ließe. Der Vorschlag wurde vom Gewinner des Architekturwettbewerbs jedoch abgeblockt, stattdessen bestand er auf seinem Realisierungsrecht. Statt günstiger wurde es schlussendlich teurer. Dafür sorgte ein Planungsfehler, der die Fertigstellung um ein Jahr verzögerte und Mehrkosten bescherte. Heute, zwei Jahre später, erweckt Günther Dorrer, Geschäftsführer von MCE den Eindruck, seinen Frieden mit dem Projekt gemacht zu haben. In Erinnerung bleiben emotionale Momente, etwa das Einschwimmen eines 120 Meter langen Bauteils, das an einer einzupassenden Stelle gerade mal 500 mm Spiel hatte.

Ökologische Verantwortung

Volatile Materialkosten ließen dem Optimieren von Konstruktionen in den vergangenen Jahren noch einmal einen ganz neuen Stellenwert zukommen. Dass es dabei aber nicht nur um das Erzielen möglichst kosteneffizienter Lösungen geht, sondern schlichtweg um die Rettung dieses Planeten, ist inzwischen offenkundig angekommen. Genauso steil und dramatisch wie Graphen beim Österreichischen Stahlbautag die Preisentwicklung darstellten, so wurden auch Klimaerwärmungskurven präsentiert. Dass die richtigen Maßnahmen auf beide Ziele einzahlen, spielt dem Thema Nachhaltigkeit natürlich in die Hände. Doch diese richtig einzuschätzen, ist gar nicht so leicht. Ganz dem Thema Umweltbilanz von Stahl im Vergleich zu anderen Baustoffen widmete sich der Vortrag von Peter Bauer, Professor an der TU Wien und Geschäftsführender Gesellschafter von Werkraum Wien Ingenieure. Dabei ging es insbesondere um die Problematik der Messbarkeit. Seit 2011 gelten per EU-Verordnung folgende Grundanforderungen an Bauwerke: a) Das Bauwerk, seine Baustoffe und Teile müssen nach dem Abriss wiederverwendet oder recycelt werden können, b) das Bauwerk muss dauerhaft sein und c) für das Bauwerk müssen umweltverträgliche Rohstoffe und Sekundärbaustoffe verwendet werden. Wie kann der Punkt Umweltverträglichkeit jedoch gemessen werden? Und wie wirkt sich das auf die Bewertung der einzelnen Baustoffe aus?

Jedes D-A-CH-Land misst Umweltverträglichkeit anders

Laut EU-weit geregeltem Schema zur Ermittlung der Rohdaten wird Folgendes festgestellt: der Bedarf an nicht erneuerbarer Primärenergie, das globale Erwärmungspotenzial, das Versauerungs-, das Eutropierungs-, das Bildungspotenzial für troposphärisches Ozon und das Abbaupotenzial der stratosphärischen Ozonschicht. Potenziell ermittelt werden kann all dies in verschiedenen Phasen. Beginnend bei den Rohstoffen, sprich, alles was benötigt wird, um aus einem Rohstoff ein Bauteil zu machen, über die Errichtung inklusive Transport usw., die Betriebs- oder Nutzungsphase, bis schließlich zur Entsorgungsphase, wo entweder Rückbau und Entsorgung betrieben wird, oder – und dieser Punkt kann wiederum rückwirkend auf die Bewertung der ersten Phase Einfluss nehmen – Recycling/Reuse.

Dadurch dass unterschiedliche Länder unterschiedliche Werte in ihre Bilanzen einfließen lassen, ist es nun aber so, dass es allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu deutlichen Unterschieden in der Bewertung von Rohstoffen kommt, eben je nachdem welche Faktoren in welchen Phasen in die Rechnung mit einbezogen werden. Während die Schweiz ein relativ komplexes Bewertungssystem mit 31 Faktoren anwendet, sind es in Deutschland 10 und in Österreich gar nur mehr 3 Faktoren. Liegen kann das eventuell daran, dass es in Österreich gar kein Ministerium gibt, das sich darum kümmert. Die Daten für die Bewertung liefert die sogenannte Firma Baubook, was laut Peter Bauer durchaus diskussionswürdig ist. Das Resultat ist, dass es zu massiven Unterschieden in der Bewertung desselben Baustoffes kommt. Österreich, das sich in der Bewertung einzig auf die erste Phase der Errichtung beschränkt, kommt etwa im Gegensatz zu Deutschland zum Schluss, das Brettschichtholz eine negative CO2-Bilanz hat und damit einen positiven Beitrag zur Umweltverträglichkeit leistet. Dabei können Leimbinder nur sehr schwer recycelt werden kann. Sie müssen in der Regel bei der Entsorgung verbrannt werden und ihre Asche wird zu Sondermüll. Stahlprofile schneiden naturgemäß in allen Ländern eher schlecht ab, allerdings in Österreich doppelt so schlecht wie in Deutschland oder der Schweiz. Noch weiter relativiert werden die Ergebnisse solcher Bewertungssysteme, wenn zu den berücksichtigten Kriterien auch noch die Effizienz hinzugezogen wird. Denn dann schaut das Ergebnis wieder ganz anders aus und Stahlprofile können plötzlich selbst mit dem aus ökologischer Sicht hochgelobten Brettschichtholz mithalten. Fazit ist, ein Bewertungssystem ist durchaus sinnvoll, muss jedoch noch verbessert und insbesondere vereinheitlicht werden, um eine objektive Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Zukunftsvision: CO2-neutrale Stahlherstellung

Ideen, um die CO2-Bilanz bei der Stahlherstellung zu verbessern, gibt es. „Um das gesteckte Klimaziel von maximal 1,5 Grad Klimaerwärmung zu erreichen, stehen uns als Menschheit 380 Mrd. Tonnen CO2 zur Verfügung. Wenn sich nichts ändert, ist dieses Budget in den nächsten 10 Jahren aufgebraucht. Wir müssten eigentlich den Verbrauch als gesamte Menschheit in den nächsten 10 Jahren auf 0 herunterfahren. Wir werden dieses Ziel, wie sich abzeichnet, nicht erreichen. Die Situation ist kritisch“, so Thomas Bürgler vom Metallurgischen Kompetenzzentrum K1-MET.

Die Stahlindustrie ist für 7% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Das liegt an der chemischen Reaktion im Hochofenprozess, wenn Eisenerze für die Stahlproduktion eingesetzt werden. Wird hochwertiger Stahlschrott in einem Elektrolichtbogenofen mit 100% erneuerbarer Energie geschmolzen, gibt es schon jetzt eigentlich keine CO2-Emission mehr. Den Prozess bezeichnet man als sogenannte Direktreduktion. Auf der Welt sind allerdings nur 750 Mio. Tonnen Schrott verfügbar. Wir brauchen aber 2 Mrd. Tonnen Stahl. Die Differenz muss durch Eisenerze gedeckt werden. Für die Direktreduktion im Elektrolichtbogenofen werden Eisenerze mit einem sehr hohen Eisengehalt benötigt, da der Prozess sonst nicht funktioniert. Für Eisenerze mit niedrigerem Eisengehalt wird aktuell nach alternativen Prozessrouten gesucht, wobei etwa der sogenannte Smelter zur Abtrennung der Schlacke als Zwischenschritt ins Spiel kommt. „Die Entwicklung dieser Prozessrouten wird uns bei der Transformation in den kommenden Jahren noch stark beschäftigen“, so Bürgler. Sein Fazit: „Meine Antwort auf die Frage ‚Gelingt die CO2-neutrale Energieerzeugung?‘ lautet also: Ja. Wir kennen die Verfahren, aber am Ende ist es eine Frage des Energiesystems. Wir haben das fossile System in den letzten 100 Jahren perfekt entwickelt und müssen nun in kürzester Zeit den Umbau auf grüne Energie erledigen.“

Materialkosten und Vergütungsrisiken

Zum Thema unerwartete Mehrkosten und wie sich das Risiko langer Bauzeiten minimieren lässt, darüber informierte Peter Scherer von der Geschäftsstelle Bau der WKO (Wirtschaftskammer Österreich). Dabei ging es um vertraglich festlegbare oder gesetzlich vorgesehene Möglichkeiten der Preisanpassung. In den letzten Jahren verliefen Materialbedarf und -verfügbarkeit oft gegenläufig, was teilweise zu massiven Preiserhöhungen führte und Erträge dahinschmelzen ließ. Nachhaltige Probleme brachten spätestens die angestiegenen Energiepreise durch den Ukraine-Krieg. Um zu eruieren, wie mit außergewöhnlichen Situationen dieser Art umgegangen werden kann, wurden von der WKO zwei Experten um ihre Rechtsansicht gebeten. In Österreich kommen als Grundlage für Bauverträge das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) oder das Bundesvergabegesetz (BVergG) bei öffentlichen Auftraggebern und diverse Normen in Frage. Wichtig ist es zu erwähnen, dass es sich in Österreich bei jedem Bauvertrag um einen Werkvertrag handelt, der viel Gestaltungsfreiheit zulässt. Normen, auf die man sich im Streitfall gerne beruft, müssen nicht zwangsläufig Vertragsbestandteil sein. Für Verträge, die sehr wohl die ÖN B 2110 als Grundlage haben, kamen sowohl Prof. Schopper als auch Prof. Kletecka von der Wirtschaftsuniversität Wien jedoch zum Schuss, dass der folgende Satz entscheiden ist: ‚Der Sphäre des Auftraggebers werden außerdem Ereignisse zugeordnet, wenn diese 1) die vertragsgemäße Ausführung objektiv unmöglich machen oder 2) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.‘ Der Auftragnehmer hat in solchen Fällen gem. 7.4 ÖN B 2110 den Anspruch auf Anpassung der Leistungsfrist und/oder des Entgelts. Prof. Kletecka wies zudem darauf hin, dass bei außergewöhnlichen Ereignissen, die trotz Sorgfalt des Auftragnehmers weder vorhersehbar noch abwendbar sind, auch kein Anspruch auf Vertragsstrafe gemäß Punkt 6.5.3 der ÖNORM B 2110 besteht. Bei Verträgen auf Grundlage des ABGB stellt höhere Gewalt einen Sonderfall dar, der in eine neutrale Sphäre fällt. Wechselseitige vertragliche Pflichten werden vorübergehend ausgesetzt. Eine Rückabwickelung des Vertrages oder Vertragsanpassung sind ebenso möglich. Laut Scherer ließen sich aber auch bei Verträgen, die sich nicht auf die Önorm bezogen, vielfach gutachterliche Grundlagen finden, die zu einer Aufteilung des Risikos führten.

Feste und veränderliche Preise

Infolge der aufgetretenen Preisveränderungen und Lieferengpässe wurden Vor- und Nachteile von festen und veränderbaren Preisen in Verträgen viel diskutiert. Während feste Preise für Auftraggeber den Vorteil von Kosten- und Budgetsicherheit bringen, bergen sie das Risiko, dass der Festpreiszuschlag möglicherweise höher liegt als nötig. Veränderliche Preise haben den Vorteil, dass Angebote besser vergleichbar sind, da keine unterschiedlichen Risikozuschläge gemacht werden, dafür ist der tatsächliche Abrechnungspreis unsicher. Für Auftragnehmer birgt der feste Preis ein höheres Kostenrisiko, aber auch höhere Ertragschancen. Veränderliche Preise sorgen aber dafür, dass Kostenveränderungen (grundsätzlich) abgegolten werden. Für die Aufteilung des Risikos bevor es auftritt, empfiehlt ein Leitfaden der Österreichischen Bautechnik Vereinigung veränderliche Preise mit sachlich zutreffenden Preisumrechnungsgrundlagen. Er wurde von Experten seitens Auftragsgeber und -nehmer im Sinne kooperativer Projektabwicklung verfasst und soll für künftig ausgeschriebene Projekte Handlungsempfehlungen bieten. Für Verträge, die auf der Grundlage des BVergG abgeschlossen wurden, hat eine unabhängige Schiedskommission im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft bei kostenrelevanten Baustoffen wie z.B. Baustahl ebenso Preisgleitung empfohlen. Und zwar dann, wenn der wertmäßige Anteil der Stoffe 1% des Gesamtauftragsvolumens übersteigt und nicht ohnehin eine geeignete Preisumrechnungsregelung vorgesehen wurde. Eine Vergütungsänderung ist laut der unabhängigen Schiedskommission zulässig, wenn eine Preisänderung dazu führt, dass sich der Materialgesamtpreis um mehr als 2% verändert.

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