Recht

Öffentliche Auftraggeber

Keine Produktvorgaben in Leistungsbeschreibungen

Grundsätzlich ist es öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von Bauaufträgen untersagt, bestimmte Produkte vorzugeben. Trotzdem finden sich in Leistungsbeschreibungen – insbesondere im Baubereich – immer wieder Produktvorgaben. Besonders häufig werden Produktvorgaben auch mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ verknüpft. Hierdurch soll der Wettbewerb zwischen dem aufgeführten Produkt und anderen Produkten erhalten bleiben. Doch wann ist eine Produktvorgabe mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ erlaubt und hält der Zusatz, was er verspricht?

Öffentliche Auftraggeber entscheiden frei, was sie beschaffen. Diese Beschaffungsfreiheit findet ihre Grenze allerdings in dem Grundsatz der Produktneutralität, wozu § 7 Abs. 2 VOB/A(-EU) eine konkrete Regelung enthält. Danach darf in einer Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen oder einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmer oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden.

Ausnahme vom Grundsatz der Produktneutralität

§ 7 Abs. 2 VOB/A(-EU) enthält auch eine Regelung dazu, wann von dem Grundsatz der Produktneutralität abgewichen werden kann.

Dies ist möglich, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann. In diesem Fall ist die Vorgabe eines Produkts in die Leistungsbeschreibung zulässig. Das aufgenommene Produkt ist dann allerdings zwingend mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen. Dies deshalb, da im Sinne des Wettbewerbs auch andere – den technischen Anforderungen ebenso entsprechende – Produkte anbietbar sein sollen. Das aufgenommene Produkt wird daher auch häufig als Leit- oder Richtfabrikat bezeichnet.

Ob seitens des öffentlichen Auftraggebers berechtigterweise von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht wird, lässt sich nur eingeschränkt überprüfen. Die Frage, ob ein Auftragsgegenstand hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann, unterliegt einem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers. Überprüfbar ist daher nur, ob der öffentliche Auftraggeber diesen ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraum eingehalten hat.

In Zweifel gezogen werden sollte dies dann, wenn es sich um einen in technischer und/oder optischer Hinsicht standardisierten Auftragsgegenstand handelt, der in der Leistungsbeschreibung zudem noch äußerst detailliert beschrieben wird. Bei besonderen bzw. anspruchsvollen Auftragsgegenständen kann hingegen von der fehlenden Beschreibbarkeit ausgegangen werden. So wurde die fehlende Beschreibbarkeit beispielsweise bei anspruchsvollen Tischsystemen mit modularen Gerätesystemen für zwei Elektrolabore bejaht (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.2015, Az.: 1 VK 59/14).

Bedeutung des Zusatzes „oder gleichwertig“

Nach einheitlicher Auffassung bedeutet Gleichwertigkeit nicht Gleichheit, das heißt, eine vollständige Identität in allen Beschaffenheitsmerkmalen ist nicht erforderlich (vgl. VK Thüringen, Beschluss vom 21.11.2019, Az.: 250-4003-15123/2019-E-021-EF; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013, Az.: Verg 33/12). Vielmehr bedeutet Gleichwertigkeit, dass sich die Produkte in ihrer Beschaffenheit ähneln. Mithin können Produkte anderer Hersteller auch dann gleichwertig sein, wenn sie in ihren Beschaffenheitsmerkmalen von denen der in die Leistungsbeschreibung aufgenommenen Leitfabrikaten abweichen.

Die Gleichwertigkeit ist seitens des Bieters bereits mit Angebotsabgabe nachzuweisen und ggf. auch zu belegen. Hierzu sind Angaben dazu notwendig, in Bezug auf welches Beschaffenheitsmerkmal eine Abweichung und in welchem Umfang diese Abweichung gegeben sein darf.

Dies hat der Auftraggeber nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung in der Leistungsbeschreibung anzugeben. Er hat anzugeben, hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale Gleichwertigkeit gefordert wird und nach welchen Parametern diese zu bestimmen sind. Dabei muss er vorgeben, was er als ein wesentliches und unbedingt zu lieferndes Beschaffenheitsmerkmal betrachtet, von dem nicht abgewichen werden darf, und von welchen Beschaffenheitsmerkmalen und -anforderungen er Abweichungen zulässt. Ein allgemeiner Hinweis auf die Gleichwertigkeit reicht nicht aus (vgl. VK Thüringen, a. a. O.; VK Baden-Württemberg, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a. a. O). Entsprechend hat auch die VK Nordbayern entschieden. In diesem Fall wurde allerdings eine Definition vorgenommen: Es wurde in der Leistungsbeschreibung ein getrenntes Wartungs- und Rückschlagventil als Mindestvoraussetzung definiert (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2016, Az.: 21.VK-3194-04/16).

Leider fehlt es häufig an diesen Angaben, wodurch der Zusatz „oder gleichwertig“ seine Wirkung verliert. Schließlich werden die Bieter im Unklaren darüber gelassen, was seitens des öffentlichen Auftraggebers als besonders wichtige Merkmale angesehen werden und was als gleichwertig betrachtet wird. Das Anbieten eines anderen Produkts birgt mithin die Gefahr des Ausschlusses, wenn es nicht zu 100 % den Beschaffenheitsmerkmalen des Leitfabrikats entspricht, was wiederum nur äußerst selten der Fall sein dürfte. Die Bieter werden daher entweder gar nicht an der Ausschreibung teilnehmen oder aber auf das Leitfabrikat zurückgreifen und dieses anbieten. Im Sinne des Wettbewerbs ist dies sicherlich nicht. Schließlich kann hierunter auch die Wirtschaftlichkeit der Vergabe leiden.

Wenn konkrete Angaben zur Gleichwertigkeit in der Leistungsbeschreibung fehlen, sollten die Bieter daher in jedem Fall vor Angebotsabgabe darauf hinwirken, die entsprechenden Angaben zu erhalten. Nach Angebotsabgabe dürfte der Bieter hiermit schließlich kein Gehör mehr finden. Neben einer Bieterfrage kann auch eine Rüge ausgebracht werden.

Fazit

Soweit der Auftragsgegenstand tatsächlich nicht hinreichend genau beschrieben werden kann, ist die Vorgabe eines Leitfabrikates mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu begrüßen. Nur dann ist schließlich eine eindeutige und erschöpfende und damit eine vergabekonforme Leistungsbeschreibung anzunehmen, die außerdem Wettbewerb zwischen verschiedenen Produkten zulässt. Es ist dann aber auch erforderlich, die Gleichwertigkeit zu definieren, was leider nicht immer der Fall ist. Die Bieter sollten, um in die Lage versetzt zu werden, auch tatsächlich andere Produkte anbieten zu können, Angaben zur Gleichwertigkeit beim öffentlichen Auftraggeber noch vor Angebotsabgabe anfordern. Andernfalls läuft der Bieter Gefahr, ein Angebot abzugeben, das mangels Gleichwertigkeit ausgeschlossen wird. 

www.smng.de

Autoren

Rechtsanwalt Prof. Christian Niemöller Geschäftsführender Gesellschafter der SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt/Main. Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der umfassenden bau- und immobilienrechtlichen Beratung. Ständiger Berater des Verbandes Fenster + Fassade in Frankfurt Main und Lehrbeauftragter an der DHBW Mosbach.

Bianca Mikasch ist Rechtsanwältin für Baurecht und Expertin im Bereich Vergaberecht.

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