Baurecht

Internationale Liefergeschäfte

Keine Ware in Sicht – und nun?

Seit der Covid-19-Pandemie sind internationale Geschäfte ins Stocken geraten. Ganz gleich, ob Lockdowns, Hygienevorschriften oder andere örtliche Beschränkungen – die Gründe für Lieferverzögerungen und -ausfälle in der ohnehin schon angeschlagenen Stahlindustrie liegen auf der Hand. Sobald die Haftungsfrage im Raum steht, kommt es zu Konflikten.

Während die deutsche Stahlproduktion sich seit Jahren rückläufig entwickelt, boomt der Handel mit Rohstoffen aus Asien. Die Gründe dafür sind vielseitig: Zum einen überflutet günstiger und hochsubventionierter Stahl aus China den Markt. Dabei drücken diese Importe den erzielbaren Preis auf ein Niveau, das für Unternehmen, die in der Bundesrepublik ansässig sind, nicht realisierbar ist. Zum anderen führt die Verschärfung des von der EU auf den Weg gebrachten Handels mit CO2-Zertifikaten zu Aufwendungen in Milliardenhöhe. In der Folge hat sich die Produktion zunehmend in außereuropäische Länder verlagert, wo eine höhere Umweltbelastung nicht so stark sanktioniert wird.

Eine generell rückläufige Nachfrage nach teurem deutschem Stahl führte in Verbindung mit der Corona-Krise dazu, dass viele Stahlhütten notgedrungen ihre Produktion im Krisenjahr 2020 drosseln mussten. Zwar zieht die Produktion nun wieder an, allerdings nicht stark genug, um die drastisch gestiegene Nachfrage zu bedienen. Gleichzeitig vermelden die weiterverarbeitenden Gewerbe, dass sie mittlerweile einen Großteil ihrer Lagerbestände aufgebraucht haben.

Der Nachschub ist weiterhin nicht in Sicht. Bei zusätzlich bestellten Stahlmengen gibt es aktuell Lieferzeiten von mehreren Monaten. Und bei bereits geschlossenen Verträgen müssen die stahlverarbeitenden Betriebe mit Verzögerungen und verringerten Zuteilungen rechnen. Hinzu kommen gestiegene Beschaffungskosten, Einfuhrzölle und eine Preisexplosion beim Transport. In vielen Fällen kommt es daher bereits jetzt zum Produktionsstillstand und damit zu erheblichen finanziellen Schäden. Um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben, gilt es die Haftungsfrage so schnell wie möglich zu klären und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten.

Klären der Schuldfrage

Um einen möglichen Rechtsanspruch wegen Nichterfüllung geltend machen zu können, muss zunächst einmal festgestellt werden, ob überhaupt ein Schuldnerverzug nach § 286 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) vorliegt. Kann der Käufer nachweisen, dass ein vertraglich festgehaltener Liefertermin nicht eingehalten wurde, gerät der Lieferant umgehend in Verzug. Dies ist auch der Fall, wenn ein vorher vereinbartes Ereignis, wie beispielsweise eine schon getätigte Teilzahlung, ein neues Lieferdatum vorgibt. Wurde im Voraus kein Termin vereinbart, gerät der Schuldner erst in Verzug, wenn er eine Mahnung erhält. Tritt eine dieser Bedingungen ein, kann der Gläubiger aus drei Handlungsoptionen wählen: Vertragsrücktritt, Schadensersatz oder eine Entschädigung des Verzögerungsschadens. Dabei setzen die ersten beiden Optionen eine gesetzte Nachfrist voraus, bevor die Ansprüche dem Gläubiger zustehen.

Um hier lange Streitigkeiten im Nachgang zu vermeiden, sollten von Anfang an feste Fristen und mögliche Konsequenzen bei ihrer Nichteinhaltung Teil der Vertragsverhandlungen sein. Auch wenn sich häufig der Lieferant für einen Lieferverzug oder -ausfall verantworten muss, gilt es auch mögliche Gründe für die Nicht- oder nur Teilerfüllung des Vertrages gründlich zu überprüfen.

Beispielsweise liegt nach § 286 Abs. 4 BGB kein Verzug vor, wenn der Verkäufer keinen Einfluss auf die Verzögerung hat. Hierzu gehören unter anderem eine unterlassene Mitwirkungspflicht seitens des Käufers und Fälle von Höherer Gewalt. Unter Letzterer versteht die Rechtsprechung Ereignisse, wie beispielsweise eine Pandemie, die trotz äußerster Sorgfalt weder vorhersehbar noch vermeidbar sind.

„Force Majeure“-Klauseln

Aufgrund der aktuell angespannten Lage verfügen viele Lieferverträge über sogenannte „Force Majeure“-Klauseln, die das Zahlen von Schadensersatzzahlungen oder anderweitigen Ersatzleistungen verhindern können. Schließlich erfüllt die Covid-19-Krise alle Voraussetzungen für das Vorhandensein von Höherer Gewalt: Sie konnte weder prognostiziert noch verhindert werden. Zudem können aktuelle Betriebsschließungen, Quarantäneverfügungen, Reisewarnungen und Grenzschließungen als starke Indizien gewertet werden. Kann der Käufer keinen Wareneingang verzeichnen und der Zulieferer beruft sich auf Höhere Gewalt, müssen alle laufenden Verträge gründlich auf alle möglichen Haftungsfälle kontrolliert werden. Auch wenn auf Partnerseite behauptet wird, dass etwaige „Force Majeure“-Klauseln zwingend eine Befreiung von allen Pflichten bedeuten, ist dies nicht der Fall.

Im Einzelfall heißt es, alle Eventualitäten abhängig vom jeweiligen geltenden Recht zu überprüfen — besonders beim Handel im internationalen Kontext, da in verschiedenen Ländern die Rechtslage unterschiedlich ist. Grundsätzlich kann jedoch von einer Vertragsauflösung mit anschließender Haftungsbefreiung ausgegangen werden. Im Zuge dessen entfallen für den Gläubiger alle Ansprüche auf Schadensersatz.

Die International Chamber of Commerce, kurz ICC, gibt passende Formulierungen an die Hand, die auch im internationalen Kontext greifen. Alternativ kann auch ein fester Zeitraum definiert werden, in dem auf das Ausbleiben des vorherrschenden Geschehens gewartet wird. Passiert dies nicht, hat dies eine Annullierung des Vertrags zur Folge. Lieferanten dürfen jedoch die geltende Anzeigepflicht nicht außer Acht lassen. Versäumen sie wissentlich, dem Käufer mitzuteilen, dass ein Lieferverzug droht, so besteht das Risiko, trotz Höherer Gewalt eine Entschädigung leisten zu müssen.

Wann springt die Versicherung ein?

Ganz gleich, ob ungeplante Lieferverzögerungen und drohende Produktions- und Geschäftsausfälle oder Schadensersatzforderungen – sowohl Schuldner als auch Gläubiger versuchen sich bestmöglich gegen mögliche Schäden zu versichern. Ob und wann eine Versicherung einspringt, hängt stark von dem unterzeichneten Vertrag ab. Eine gewöhnliche Warentransportversicherung greift beispielsweise erst dann, wenn ein Schaden an der Ware verzeichnet werden kann. Da dies mit dem Coronavirus nicht der Fall ist, gehen Betroffene leer aus. Hängt hingegen die Produktion von der bestellten Ware ab, könnte eventuell eine Produktionsausfallversicherung oder Betriebsschließungsversicherung einen möglichen Schaden abdecken. Muss ein Unternehmen unverschuldet die eigene Produktion stoppen, springt sie unter bestimmten Voraussetzungen ein. Eine weitere, jedoch sehr kostspielige Alternative stellt eine sogenannte Supply-Chain-Versicherung dar, die einen Allgefahren-Ansatz verfolgt. Konkret bedeutet das: Eine solche Versicherung deckt jedes Risiko in der Lieferkette ab, es sei denn, es wurde explizit oder im Kleingedruckten ausgeschlossen. Hierzu wird vorab eine ausführliche und tiefgreifende Risikoanalyse durchgeführt, auf deren Grundlage der Versicherungsschutz basiert. Auch hier gilt es im Einzelfall, wie bei allen Assekuranzen, die Police gründlich auf mögliche Haftungsszenarien und Höhere-Gewalt-Klauseln zu untersuchen. Zusätzlich besteht in den meisten Fällen vor Vertragsabschluss die Möglichkeit, individuelle Sondervereinbarungen gegen Mehrkosten mitaufzunehmen.

Weigert sich die Versicherung im Ernstfall für den entstandenen Schaden aufzukommen, zahlt sich eine Überprüfung durch eine juristische Instanz oftmals aus. Unterschiedlichste Verfahren haben in der Vergangenheit gezeigt, dass eine genaue Untersuchung und Aufbereitung aller Faktoren durchaus vielversprechende Ergebnisse erzielen kann.

Der Autor

Felix Korten ist Rechtsanwalt und Vorstand der Kanzlei Korten Rechtsanwälte AG mit Standorten in Hamburg, München und Göttingen sowie Partner der gunnercooke Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Darüber hinaus verfügt er über langjährige Erfahrung als Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften. 2021 wurde er in den Senat

der Wirtschaft berufen.

www.korten-ag.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 04/2020 Recht

Baurecht & Corona-Pandemie

Rechtliche Spielregeln, die Sie beachten sollten

Viele Baubeteiligte fragen sich, inwieweit sich die Ausbreitung des Corona-Virus auf Bauverträge auswirkt und auf welche rechtlichen Spielregeln geachtet werden sollte. Eine besondere Bedeutung im...

mehr
Ausgabe 05/2022 Baurecht

Folgen des Krieges in der Ukraine auf Bauverträge

Die Tragweite der Auswirkungen der Kriegsereignisse kann noch nicht prognostiziert werden. So haben große Raffinerien angekündigt, ihre Produktion des für den Straßenbau benötigten Bindemittels...

mehr
Ausgabe 7-8/2020 Recht

Baurecht & Corona

Erfahrungen bei der Abwicklung von Bauverträgen

Trotz der teilweise unübersichtlichen und unterschiedlichen Regelungen nicht nur zwischen einzelnen Staaten, sondern auch zwischen den Bundesländern Deutschlands lässt sich feststellen, dass die...

mehr

VFF-Tagung zur VOB

Präsenzveranstaltung mit über 30 Teilnehmern

Thomas Manteufel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln, referierte zum Thema „Die Mängelhaftung – Aus Sicht des Richters“. An den Anfang stellte er die Erläuterung der rechtlichen...

mehr
Ausgabe 1-2/2022 Baurecht

Was tun bei Lieferschwierigkeiten?

Hinweise für Auftragnehmer

Verlängert sich die Bauzeit und wird das Material erst Monate noch der vereinbarten Lieferzeit abgerufen/bestellt, liegt der Preis für das Material oft weit über dem Angebotspreis. Die gesetzlichen...

mehr